Kaum ein Wort hat in den letzten Jahren mehr Karriere gemacht als Hass. Seine Exposition hat sich der Medien bemächtigt und die Konnotationen mit Prediger, Gesang, Gedicht oder Ausbruch sind alltäglich geworden. Stiftungen werden ins Leben gerufen, um hatespeech zu bekämpfen, die EU fährt entsprechende Kampagnen und Arvato erweitert sein Geschäftsmodell durch Sprachbereinigungsdienstleistungen in den sozialen Medien. Shitstorms ziehen auf und beschäftigen Medien und Voyeure, Relevanz wird gleichgesetzt mit veröffentlicht, es scheint einen Zwang zum Hinschauen zu geben.

Die Suche nach Definitionen für Hass ist nicht sehr ergiebig. In Dorsch, dem psychologischen Wörterbuch, erfahren wir:Hass ist ein intensives (intentionales) Gefühl der Abneigung, Feindseligkeit. Steigerung bis zur Vernichtung (tödlicher Hass). Hass ist Gegenpol zur Liebe, doch gibt es auch die Verschmelzung zur Hassliebe. Auch bei Wikipedia wird man nicht differenzierter und bei der Amadeu Antonio Stiftung heißt es: Hassrede (Hate Speech) ist kein sprachwissenschaftlicher, sondern ein politischer Begriff mit mehr oder weniger starken Bezügen zu juristischen Tatbeständen. In den weiteren Ausführungen wird Hass immer in Bezug zu (Straf)Taten oder Einstellungen gesetzt und als Begriff nur mit sich selbst erklärt – Hass ist Hass, wenn…

http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hatespeech/wasist-ueberhaupt-hate-speech/

Erich Fromm sieht 2 Arten des Hasses, die sich von ihrer Herkunft, aber nicht von ihrer Art und Weise unterscheiden:

Reaktiver Hass ist die mögliche Folge eines Angriffs auf Leben, Sicherheit, Ideale oder Identifikationsobjekte; er ist, wie der Name schon sagt, eine Reaktion, zu der es eine Ursache gibt.

Charakterbedingter Hass ist ein intrinsisches Merkmal einer Person, eine innewohnende Charaktereigenschaft; das Ausleben des Hasses wird geradezu genossen, es ist die Reaktion auf eine Bedürfnislage.

Michael Depner, ein Psychiater aus Wuppertal, hat eine praktikable Einordnung vorgeschlagen: Zorn anerkennt den Wert des Gegners, Wut ignoriert ihn, Hass verleugnet ihn.

Robert Sternberg hat in seiner „Psychology of Hate“ eine Taxonomie skizziert, die auf 3 Komponenten basiert:

Emotional, plötzlich aufflammend, instinktähnlich, in heftige Wallung geratend, anfallartig sich auf einen konkreten Vorfall/Anlass

beziehend, („heißer Hass“). Ist eine (fast) spontane Abwehrreaktion auf eine tatsächliche oder antizipierte Bedrohung.

Sozial, Verweigerung von Nähe aus Verachtung, Abneigung, Ekel. Diese Zurückweisung kann aus konkreten Merkmalen der Person (z.B. ethnisch/religiös/schwul) gespeist, von negativer Erfahrung wie Verrat, Betrug oder Übervorteilung aber auch propagandistisch verursacht sein. Diese eher kalte Form des Hasses entwickelt sich ebenso langsam und stetig wie sie auch nur langsam wieder (ent)schwindet.

Kognitiv, „logisch“ herleitbare Gewissheiten über den Minderwert anderer Menschen oder Gruppen; das kann bis zur Gehirnwäsche gehen, wie sie beim IS aber auch schon an Schulen (Palästinenser vs Juden) praktiziert wird; auch der kalten Form des Hasses zuzuordnen.

Sternberg hat 7 Typen skizziert, in der seine 3 Komponenten mehr oder minder zusammenwirken können und auch in einigen Fällen vor einer Vernichtung des anderen nicht Halt machen.

Insgesamt ist die psychologische Forschung zu Hass unergiebig und hat fast keine empirisch belastbaren Aussagen oder Schlussfolgerungen. Entsprechend meandert der Begriff je nach Absicht und Verwendungszweck zwischen einem (intensiven) Gefühl der Ablehnung und dem Vernichtungswillen des oder der Anderen.

Auch ohne empirische Belege darf man schlussfolgern, dass der Hass in der Gesellschaft genau mit deren Sosein zu tun hat. Arthur Schnitzler, dieser scharfsinnige und sprachgewaltige Mediziner und Autor der Wiener Moderne erkannte schon vor über 100 Jahren: „wenn der Hass feige wird, geht er maskiert in die Gesellschaft und nennt sich Gerechtigkeit“ und skizzierte damit ein Format, das heute vor allem im (gesellschafts-) politischen Raum weit verbreitet ist.

Vergessen wir nicht die intellektuell verbrämten Formen des Hasses, wie sie in Ironie, Sarkasmus, Zynismus und Co sublimieren und als die milden, latenten, unterdrückten Spielarten des Hasses medial unter anderem ihr Forum in den unzähligen Talkshows gefunden haben, wo modernen Gladiatorenkämpfen ähnlich die Egos gebetsmühlenähnlich immer das Gleiche sagen und den Gegnerbezug suchen.

Radikale, gewalttätige Ausprägungen des (vor allem kalten) Hasses erleben wir seit Jahren und mit wachsender Tendenz bei bestimmten Fußballfans auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene (Hooligans) und den verschiedenen Formen des religiös-politisch inspirierten Terrorismus.

Der Hass ist gesellschaftsfähig geworden, hat die Scham überwunden und lebt sich aus in den Fernsehstudios, den sozialen Medien, auf der Straße und bei vielen alltäglichen Begegnungsformen, wie der Regisseur Joel Schumacher dies mit Falling down-ein ganz normaler Tag und einem grandiosen “D-fens“ Michael Douglas hautnah und nachdrücklich auf die Leinwand gebracht hat.

„Wie kann ich wissen und fühlen, was ich denke, bevor ich höre und lese, was ich sage, schreibe und tue“ hat in etwas abgewandelter Form der brillante Organisationsforscher und -denker Karl E. Weick postuliert und aus dieser Rekursivität die Chance zu wachsender Sinnhaftigkeit und Lernen gefolgert. Dies lässt sich, was den Hass anbelangt, eher nicht bestätigen: das öffentliche Ausleben im Krawall und den sozialen Medien treibt die Klimax der Enthemmung voran, der show down ist die Befreiung mit Wiederholungszwang.

Womit wir bei der Ursache-Wirkung Frage sind:

Gibt es Verstärker für diese Entwicklung und wenn ja, welche sind dies?

Hat diese Entwicklung etwas mit Bezugssystemen zu tun, deren Seismograph immer empfindlicher geworden ist und heute Ausschläge produziert, die man früher als doof zur Seite gelegt hat?

Wenn dies mit Erziehung und Bildung zu tun haben sollte, wie kann dann der Respekt und die Wertschätzung der Profession der Pädagogen und Lehrer durch Eltern, Schüler, Politik, Medien und öffentliche Meinung so unterminiert worden sein?

Kann man an moralisches Verhalten appellieren, wenn das Regelvertrauen der Menschen kontaminiert wird und die Institutionen des Sicherheitsgefühls (Polizei, Justiz) ihre Glaubwürdigkeit verlieren?

Sind das die Früchte des Zorns, die eine Gesellschaft speisen oder um P. Sloterdijk zu zitieren: “wer sich seinen Zorn merken will, muss ihn in Hasskonserven aufbewahren“? (Zorn und Zeit 2006)

Haben die Wutbürger in Stuttgart und anderswo im Schutze eines vermeintlich größeren Anliegens ihre Ressentiments als „Selbstvergiftung durch gehemmte Rache“ (Nietzsche) in Montags-Hass transformieren können?

Ist die Positive Psychologie, die uns lehren will, wieviel Gutes in uns angelegt ist, eine grandiose Fake News?

Haben wir mit dem Entsorgen der Sekundärtugenden auch verlernt, noch anschlussfähig an die Primärtugenden zu sein?

Ist die öffentliche Herabwürdigung der Überzeugungen anderer Menschen eine wesentliche Lernerfahrung von Hass?

Was wäre, wenn wir nur katastrophieren? Was wäre, wenn wir unsere Erregtheit und Aufmerksamkeit anderen Dingen schenken als den Posts, Shitstorms, Likes, Shares, Breaking News, Talkshows oder den Brennpunkten? Was wäre, wenn wir mal wieder Franz-Josef Degenhardt mit seiner „Schimpflitanei“ aus 1973 hören, wo er eine besondere Form von Fanpost unaufgeregt verarbeitet hat?