Zeughaus für leises und lautes Denken,
Sichtweisen, Einsichten und Aussichten

Wenn man sich mit den Gegensätzlichkeiten und inneren Dynamiken von Organisationen auseinander setzt, kommt man an den Überlegungen von Ralph Stacey nicht vorbei. Dieser hat Mitte der 90er-Jahre ein Bild von Organisationen entworfen, das durch 2 Kräftefelder ausgezeichnet ist. Die eine Kraft hat das Bestreben, Organisationen in einem möglichst stabilen Gleichgewicht zu halten, Widersprüche zu vermeiden, Wirklichkeit vereinfacht darzustellen und Zukunft durch Planung zu gestalten.

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Dieses quasi legitime System erledigt die Primäraufgaben der Organisation und sorgt durch Regeln, Routinen, Standards und Rituale für ein angestrebtes Maß an Stabilität. Es reduziert oder bekämpft die organisationale Angst, die mit dem Überleben zu tun hat, und legt sich meist auch über die Innovationsfähigkeit und Kreativität. Wettbewerb und Konflikte werden eher weggeblendet – im Vordergrund steht das Funktionieren. Stacey bezeichnet dies als das dominante Schema, dem vordergründig das organisationale Geschehen zu folgen scheint.

Und dann gibt es eine andere Kraft, ein anderes Bestreben – oder das, was hinter dem Spiegel ist. Hier bewegt man sich außerhalb des legitimen Systems und kann Antagonist der offiziellen Werthaltungen sein. Hier wird das Private im Gegensatz zu dem Öffentlichen ausgelebt. Hier verfolgen die Mitglieder der Organisation ihre persönlichen Spielregeln, wie sie sich im Sarkasmus des ‘Wenn jeder sich selbst hilft, ist allen geholfen’ niederschlägt. Hier geschieht die Mikropolitik der Organisation. Hier wachsen Akzeptanz und Ablehnung von Personen und es werden die persönlichen, meist psychologischen Bedarfe ausgelebt, die im Gegensatz zu den Spielregeln der Primäraufgaben stehen oder nicht zur gegebenen political correctness passen. Stacey bezeichnet dies als das rezessive Schema und meint damit ein Verhaltenssystem, das der Organisation zur Verfügung steht, aber nicht für die Verwirklichung ihres Hauptzwecks ausgeschöpft wird.

In diesem rezessiven Kontext geschehen viele informelle Anstrengungen, die das legitime System, das dominante Schema, unterstützen oder sabotieren können. Das rezessive Schema ist per se ein Kräftefeld, das zur Instabilität der Organisation führen kann. Vieles, was sich in der Organisationskultur und Mikropolitik einer Organisation niederschlägt, ist aus dem rezessiven Schema gespeist. Das rezessive Schema bestimmt den Charakter der Organisation.

Ob ein Sozialsystem marode oder intakt ist, wird wesentlich durch das rezessive Schema bestimmt. Wir spüren den Geist der Fürsorge oder der Geringschätzung auf einer Station im Krankenhaus. Wir erleben im Hotel den Absturz der Servicequalität, wenn der Chef nicht da ist. Und wir staunen über die Fehler und Abwicklungsprobleme eines zertifizierten Unternehmens: geordnete Strukturen und Prozesse sind weder eine notwendige, noch eine hinreichende Voraussetzung für Servicequalität und Kundenorientierung.

Eine besondere Paradoxie ist der Dienst nach Vorschrift, bei dem sich das rezessive Schema öffentlich als dominantes ausgibt – legalisierte Obstruktion.Die Lust an den dunklen Seiten des rezessiven Schemas kann man schon ab dem frühen Nachmittag im Fernsehen erleben, wenn sich Menschen mit ihren Beziehungen und in ihrem Sosein begeistert outen, Pseudo-Promis im Urwald campen und die Kamera im Container das Innerste zum Äußersten kehrt. Organisationale Stabilität oder Instabilität resultiert letztlich immer aus dem rezessiven Schema. Je mehr eine Organisation versucht, mit den Mitteln des dominanten Schemas, also durch die konventionellen Interventionen von Regeln bis zu Sanktionen, ein Gleichgewicht, eine Stabilität aufrecht zu erhalten, umso mehr ist sie im Sinne des Schmetterlingseffektes gefährdet. Eine in hohem Maße verstetigte Energie kann leicht zum Einsturz führen. Ein klassisches Beispiel hierfür war vor über 20 Jahren der Fall der Barings Bank in Singapur. Dort hatte Nick Leeson, ein hochrangiger Angestellter, durch kriminelle Spekulationen das Bankhaus zum Einsturz gebracht. Was auf den ersten Blick wie die Tat eines Einzelnen aussah, stellte sich bei späteren Überprüfungen als ein Gesamtsystem dar, in dessen Sumpf sich schon viele Führungskräfte der lokalen Geschäftsleitung bis hinauf zum Vorstand in London über Jahre wesentlich ihrem eigenen Vorteil zugewandt hatten und bestrebt waren, das dominante Schema aufrecht zu erhalten, um ihre eigenen Eskapaden zu verheimlichen. Lehman Brothers war der Beweis, dass man dieses Spiel auch noch in ungleich größerem Ausmaß betreiben kann. Im Dezember 2015 lassen wir uns überraschen, was bei VW und seinen Abgaseskapaden, bei der Deutschen Bank und bei Toshiba noch ans Licht kommen wird.

Es gibt auch in kleinerem Rahmen eine Vielzahl von Fällen, bei denen nicht die ökonomische Konfiguration, sondern der psychologische Hintergrund, meist sogar sehenden Auges, in die Insolvenz geführt hat. Ein Klassiker des rezessiven Schemas ist Murphy’s Law. Dessen Fundamentalerkenntnis des menschlichen Dilemmas mündet in der These: was schief gehen kann, geht schief! Aber nicht nur das – nein, es geht auch noch zum unpassendsten Zeitpunkt schief. Im Zweifelsfalle gehen auch noch mehrere Dinge gleichzeitig schief, um den größtmöglichen Schaden anzurichten. Sich selbst überlassen, wenden sich die Dinge vom Schlimmen zum Schlimmsten und wenn die Dinge gut zu laufen scheinen, hat man irgendeine Falle übersehen. Mühe und Anstrengung sind vergebens, Zurücklehnen und Zuwarten ist angesagt.

In ein ähnliches Horn bläst ‘simplify your life’: wenn man bedenkt, dass 95 % der sechzigtausend Gedanken eines Tages die gleichen sind wie am Tage zuvor, dann kann man sie sich auch sparen. Systematisch aufräumen heißt die Devise. Die Festplatte des Lebens wird defragmentiert und als unbeschriebenes Blatt können wir unbeschwert dahinleben. Mit diesem Gerümpel-Paradigma schaffen wir auch gleich Belastungen wie Verantwortung, Empathie und alles andere ab, was zu Energieverlust führen würde.

Wenn wir nun also in jeder Organisation diverse Exponenten des Gleichgewichtes und der Instabilität haben, dann muss sich dies auch im Führungsverhalten des Managements niederschlagen. Man könnte auch sagen, es geht hier um die Kunst, auf der Welle zu reiten und die Energien aus dem Konflikt der beiden Schemata in der Form zu nutzen, dass Fortschrittsfähigkeit gewährleistet bleibt. Für das Management und die Organisationsteilnehmer heißt es dann, Widersprüche und Stress ertragen zu können, Angst auszuhalten, Macht durch Empathie zu ersetzen, Zeit für Reflexion zu schaffen und Raum für selbst organisierende Lernprozesse anzubieten.

Um das Spannungsfeld der beiden Schemata zu verstehen, zu diagnostizieren und auszugestalten, brauchen sie einige Brillen, Perspektiven oder Dimensionen, auf denen das Geschehen in Organisationen abbildbar ist. Stacey empfiehlt als erste Perspektive die emotionale Aufgeladenheit der Organisation. Hier geht es um das Spannungsfeld zwischen Inspiration und Angst. Dahinter stecken Belange wie Wut und Feigheit, Aufrichtigkeit versus bewusste Täuschung, Phantasie, Neugier etc. Werden Emotionen offen oder verdeckt ausgelebt, gibt es Feindbilder innerhalb oder außerhalb der Organisation?

In einer zweiten Brille reicht die Spannbreite von Konformität bis Individualismus. Diese haben mit dem Freiheitsgrad zu tun, den jedes Organisationsmitglied hat oder sich zu nehmen weiß. Haben die eigenen, individuellen Bestrebungen einen höheren Stellenwert als gemeinsame Ziele? Nutze ich die Organisation, wenn auch geschickt verbrämt, nur zu meinem Ego-Trip? Es geht hier also um Eigennutz versus den Anforderungen der Gruppe oder Abteilung. Lasse ich zum Beispiel den Kollegen auflaufen, wenn er sich anscheinend nicht helfen lassen will?

In einer dritten Dimension geht es um Führung und Gefolgschaft und um das Machtgefälle in einer Organisation, das im Regelfalle weit davon entfernt ist, statisch zu sein. Diagnostisch interessant ist hier jeweils, wie die Macht ausgeübt wird, wenn Mächtige an- oder abwesend sind und inwieweit die vermeintlich Mächtigen nur Macht haben, wenn die ihnen folgenden Nächstmächtigen ihnen auch wirklich Gefolgschaft leisten. Die relative Ohnmacht der Mächtigen wird zu einem immer bedeutsameren Aspekt von organisationaler Wirksamkeit und die Frage, wie Gefolgschaft und Freiraum gestaltet werden, zu einem essentiellen Erfolgskriterium von Unternehmen.

Mit einer vierten Perspektive könnte man Bewusstsein und Selbstbewusstsein abbilden. Hier geht es darum, wie über das eigene Verhalten reflektiert und wie das Geschehen im System beobachtet wird. Sind die Organisationsmitglieder aktiv Beteiligte und/oder eher außenstehende Beobachter? Sind die Anliegen der Organisation auch die Anliegen der Mitarbeiter? Wer ist beteiligt am Nachdenken über die Zukunft? Geht es um Konsumieren oder Initiieren? Wie wird der Anspruch an die Führung der eigenen Person umgesetzt?

Unternehmen jeglicher Couleur haben viel mit selbstverhüllenden Illusionen zu tun und selten oder nie ist es so, als stünde nur eine einzige Absicht hinter allem. ‘Unternehmen am Rande des Chaos’ hat Stacey sein Buch genannt. Dann sind Führungskräfte Chaos-Piloten – wir wünschen einen guten Flug.

Das Management von Organisationen kennt grundsätzlich 4 Spielarten: In der ersten, dem Status quo, geschieht nichts an Veränderungsarbeit und alles soll so bleiben, wie es ist. Die zweite Form kann man als Optimierung bezeichnen. Hier geht es darum, die Verbesserungspotentiale bei bestehenden Strukturen und Werkzeugen auszuschöpfen. Das Dritte ist der turn around, bei dem es darum geht, mit einem Quantensprung eine Innovation und einen qualitativ neuen Zustand zu schaffen. Bei dem Vierten geht es darum, kurzfristig die Überlebensfähigkeit zu sichern, also krisenhafte Situationen zu managen, landläufig auch Sanierung genannt.

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Beim Status quo ist die Aufgabe des Managements, in einem bürokratischen Sinne darauf zu achten, dass alles immer nach den gleichen Spielregeln abläuft, die Organisation sich quasi als eine Produktionsmaschine mit null Abweichungstoleranz versteht.

Bei der Optimierung geht es darum, auf schon Vorhandenem aufzubauen, Bestehendes zu verbessern und die Beteiligten stark in den Lern- und Entwicklungsprozess einzubeziehen. Viele Maßnahmen werden vor der eigentlichen Umsetzung durchgespielt. Die Logik der Echternacher Prozession „zwei vor eins zurück“ ist meist ein Bestimmungsmerkmal eines solchen Veränderungsprozesses, der zum Ziel hat, möglichst viele oder alle Beteiligte im Verlaufe des Prozesses zu Promotoren zu machen.

Ganz anders ist die turn around-Situation. Hier reichen einige mächtige und entschlossene Promotoren, die eine kreative Zerstörung des Alten ermöglichen und eine schnelle Einführung des Neuen forcieren. Eine Innovation kann man nicht wie den Jagdhund zum Fuchsbau tragen und stabilisierende Maßnahmen kommen nach der Umstellung. Hier folgen auf eine Entwicklungsphase, die kurz oder länger sein kann, eine schnelle und robuste Umsetzung und dann eine längere Nachsorge.

Die Sanierung ist eine Art Bohrturm in See-Situation, wo das Risiko, vom sicheren zum möglichen Tod zu kommen, auch gleichzeitig die Chance ist. Oder, um in der Analogie zu bleiben, vom 15. Stock mit Schwimmweste in die See springen, weil kein Rettungshubschrauber in Sicht ist und Löschversuche aussichtslos sind.

Bei einem Übertrag der 4 Situationen in eine Spieleanalogie kann man den Status quo bezeichnen als eine Konfiguration, bei der einige die Regeln kennen und alle die Spielzüge auswendig gelernt haben. Bei der Optimierung kennen alle die Regeln, halten sie ein und bessern im Sinne von „mehr vom gleichen“ nach, um mehr vom Spiel zu haben. Beim turn around werden neue Regeln erfunden, mit denen sukzessive ein neues Spiel entwickelt wird, während in der Sanierung nur noch einer die Regeln beherrscht und gleichzeitig auch noch Schiedsrichter ist.

Das Sanierungsgeschehen lässt sich grundsätzlich in 3 Phasen unterscheiden. Da gibt es zum einen die Hoffnungs- oder „das Pfeifen im Walde“-Phase. Mit Christian Morgenstern´s „das nicht sein kann, was nicht sein darf“ wird gegen offenkundige Daten und Fakten argumentiert. Das Prinzip Hoffnung dominiert öffentliche Erörterungen mit dem Verweis darauf, dass es doch erst halb Zwölf und nicht schon fünf vor Zwölf oder gar fünf nach Zwölf sei. Wenn es in dieser Phase nicht gelingt, die kritische Masse der Fach- und Führungskräfte für einen radikalen Schnitt zu gewinnen, schwinden die Chancen des Überlebens exponentiell.

In der zweiten Phase geht es um die unmittelbare Gefahrenabwehr, zum Beispiel die Abwendung eines drohenden Konkurses. Hier geht es dann zu wie in der Notfallmedizin, das heißt, es geht nur noch um die Vitalfunktionen des Unternehmens, die mit allen Mitteln – und hier heiligen dann alle Zwecke auch die Mittel – wieder herzustellen sind und wo manche schmerzhafte Amputation erfolgen muss, die zu fast irreparablen Dauerschäden führt, aber das Überleben sichert.

Erst die darauf folgende dritte Phase ist die eigentliche Sanierung im Sinne von wieder gesund werden der Organisation. Hier muss von einer Innenperspektive der brutalen Kostenreduktion wieder auf die Außenperspektive der Marktbearbeitung umgeschaltet werden. Eine ganz große Klippe, bei der es sonst gleich heißen kann „Operation gelungen, Patient tot“. Je länger die zweite Phase dauert, weil aus formalen, arbeitsrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen und anderen Gründen Entscheidungen und Umsetzungen in die Länge gezogen werden, umso geringer sind die Chancen für eine erfolgreiche Phase 3. Und wenn der Insolvenzverwalter erst einmal das Sagen hat, dann geht es in vielen Fällen, um in der Analogie der Notfallmedizin zu bleiben, nicht mehr um Amputation, sondern um das Ausschlachten oder das Vermarkten von Organen an andere Interessenten zum Schnäppchen-Preis.

Diese 3 Phasen fordern von einem die Sanierung begleitenden Berater auch unterschiedliche Qualitäten und Ausrichtungen. Wenn er in der ersten Phase besonders als Diagnostiker gefordert ist, um den Führungskräften und der Organisation klar zu machen, wo die Gefahren und die Gefährdungspotentiale bestehen, mit welchen Auswirkungen und Reichweiten zu rechnen ist und im Zweifelsfalle die Krise inszeniert, die sonst niemand sehen will, so geht es in der zweiten Phase mehr um den robusten Lotsen, der erfahrungsgestellt die Größen und Tiefen kennt und hier dirigistisch gesehen auf schnellstem Wege zum rettenden Ufer führt. In Phase 3 ist dann mehr die Hebamme und der Inspirator gefragt. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe und um die Entwicklung eines neuen funktionsfähigen Führungsteams.

Wenn man über viele Jahre, auch in unterschiedlichen Branchen, in Sanierungsprojekte eingebunden war, ist es verblüffend, wie sehr sich die meisten Fehlerprotokolle gleichen:

  1. Die Entwicklung eines klaren und gesunden Gefahrenbewusstseins wird behindert, stattdessen setzt man auf die Wende im Markt und dass der Konsument und dass die Kunden ein Einsehen haben und sich gnädigst dem Unternehmen wieder zuwenden.

  2. Die Führungsfrage wird, wenn überhaupt, meist viel zu spät gestellt, wo es doch so nötig wäre, zum frühest möglichen Zeitpunkt zu klären, wer in Zukunft in der Unternehmensleitung und dem first line management sitzt und insbesondere wer nicht (mehr) drin sitzt.

  3. Es fehlt an deutlichen Signalen an jene die das Potential für die Zukunftsbewältigung haben, dass man auf sie setze und sie mit dabei haben möge. Das Risiko ist mehr als hoch, dass in den allgemeinen Turbulenzen die Falschen das gefährdete oder sinkende Schiff verlassen.

  4. Auch wenn die Informationssysteme den nahenden Gau abbilden können, wird der Stand der Dinge selten kritisch erörtert und lieber von Zukunft gefaselt als der Gegenwart gnadenlos ins Auge gesehen.

  5. Selten wird wirklich mit dem worst case geplant, was Umsatz und Ergebnis der näheren Zukunft anbelangen. Fast immer ist dies zu hoch dimensioniert und man geht, was die Kostenseite anbelangt, immer noch mit viel zu viel Ballast in das nächste Rennen. So sind die nächsten Planrevisionen zwangsläufig ebenso wie der weitere Vertrauensverlust in der Organisation. Die Folgeprobleme sind vorprogrammiert.

  6. Trotz aller Eile wird häufig unterlassen, eine neue Strategie für das Unternehmen zu entwerfen. Die Betriebswirtschaft allein hat noch nie ein Unternehmen gesund gemacht.

  7. Last but not least werden nur selten oder nie die wirklich Schuldigen bestraft, denn nur dann ist die notwendige Trauerarbeit und die Befreiung der Organisation aus ihrem schlechten Gewissen möglich. Es fehlt so häufig die eigene Entschuldung, damit es kraftvoll weiter und am besten nach vorne gehen kann.

Bei der Sanierung bewegen wir uns nicht nur gedanklich in der medizinischen Notfallsituation, sondern wir haben uns auch das Funktionieren und die Regeln der ärztlichen Intervention angeschaut. Hier wie dort geht es erst einmal um das Überleben und nicht um Lebensfähigkeit auf Dauer. Sanierung kann den turn around nicht ersetzen, sondern ihn nur ermöglichen. Mein Fazit aus dem Vergleich der Notaufnahme mit der Unternehmenssanierung:

  1. Der Notarzt war erfolgreich, auch wenn Sie behindert bleiben. Sanierung stellt Überleben sicher, nicht Lebensfähigkeit auf Dauer.. Sie kauft Zeit für den turn around, kann ihn aber nicht ersetzen.

  2. 360-Watt-Stromstöße bei schlagendem Herzen verursachen Herzstillstand – Sanierung ist eine Maßnahme für den Notfall und nur für ihn.

  3. Bitten Sie einen Notarzt nicht, ihren Meniskus wieder einzurenken; es könnte sein, dass ihr Knie steif bleibt – Sanierer sind Spezialisten für Notfälle und nur für sie.

  4. Auch mit Morphium verlieren Sie bei einer Notamputation ein Bein – Sanierung ist kein Zuckerschlecken, sondern schmerzhaftes, rigoroses Handeln im Notfall

  5. Ihr Körper weiß, was er bei Blutverlust zu tun hat, Sie nicht –geraten Sie oder Ihr Unternehmen in eine Notfallsituation, stoppen Sie Ihr Handeln – es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch.

  6. Die Evolution hat vorgedacht, Sie nicht – gedanklich den Misserfolg vorwegnehmen ist eine schwierige Übung, aber niemand ist unfehlbar oder hat dauerhaft Fortune. Nutzen Sire die Chance, Notfällen vorzudenken, im Notfall fehlt die Zeit nachzudenken.

Für den Sanierer selbst empfehlen wir die folgenden 4 Maximen:

  1. aus: Schaue bevor du springst! – wird: Handele, um schnell heraus zu finden, was noch möglich ist!

  2. aus: Handele nicht, wenn du die Situation nicht verstehst! – wird: Halte dich an Intuition, Erfahrung, Ratschläge anderer und handele auch, wenn dir nicht alles klar ist!

  3. aus: Frage nicht nach Daten, die deine Entscheidung nicht tangieren! – wird: Achte auch auf das scheinbar Irrelevante, weil Rettungspfade nicht immer den mainstream bedeuten!

  4. aus: Wisse was du sagst! – wird: Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage!

Dem planvollen Entscheiden und Handeln stehen im unternehmerischen Alltag viele große und kleine Barrieren entgegen. So kleben wir an althergebrachten Gewohnheiten und verlassen uns auf ungeprüfte Gewissheiten und vermeintliche Prioritäten. Nur zu häufig steht dahinter ein verkürztes Informationsverhalten und eine Selektion auf “stimmige” Botschaften. Es ist eben einfacher und erfolgversprechender, Lösungen für Probleme dort zu suchen, wo wir kompetent sind, statt dort, wo sie vielleicht wirklich entstanden sind.

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Gelegentlich geht diese Angst vor dem Eingeständnis eigener Unkenntnis einher mit einer großen Hartnäckigkeit in Bezug auf den eingeschlagenen Weg und weniger in Bezug auf das Ziel. Bei hektischer Betriebsamkeit und ausgeprägtem Aktionismus wirbeln wir dann viel Staub auf und wundern uns hinterher, dass wir so wenig sehen können.

Damit dies alles ein Ende habe, wurde vor Jahrzehnten das “scientific management” erfunden, mit quasi militärischem Planungsdenken unterlegt und mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen verknüpft. So wuchs langsam die hohe Schule der Unternehmens- und strategischen Planung. Und es wuchs langsam die Gewissheit, dass bei richtiger Planung aller Denkbarkeiten die Führungskräfte wirklich in der Lage sind, das Unternehmen, andere und sich selbst “richtig” zu führen und zu organisieren. Und so sitzt die hoch entwickelte und geschulte Führungskraft dann gelassen, analysierend und konzipierend im typischen Alltagsgetümmel, überarbeitet mit ihrem Time Management System die Prioritäten und kontrolliert die Einhaltung von Verabredungen. Gelegentlich schraubt sie sich auch hoch zu Helikopter-Sicht, um zu prüfen, ob alles noch nach Plan läuft oder unerwartete Gefahren drohen.

Haben wir nun einerseits den Organisationspraktiker, der möglicherweise durch sein Handeln die Probleme, die er lösen will, verschlimmert und andererseits den Organisationstheoretiker, der einer Wahrheit nachjagt, für die es keinen Bedarf gibt?

Schauen wir uns doch an, wie es den großen, gefeierten, erfolgreichen Unternehmen und ihren Führern ergeht – und wir sehen, dass selbst schiere Größe und (vermeintliche?) Marktbeherrschung nicht davor bewahrt, in kräftige Turbulenzen zu geraten. So wird dann die “Suche nach Spitzenleistungen” und der “Manager des Jahres” zur Paradoxie, oder einfacher gesagt zum Beweis des Gegenteils. Das Streben nach Vollkommenheit und der Versuch, alles Unvollkommene auszumerzen, geraten zur Utopie.

Die exponentielle Zunahme der Managementwerkzeuge und -instrumente hat auch die Fehlermöglichkeiten (vielleicht im gleichen Maße?) steigen lassen. So ist es zum Beispiel eine weit verbreitete Untugend zu glauben, dass gute Analysen mit guten Ergebnissen gleichzusetzen seien. Auch treten die Folgen von Entscheidungen häufig erst lange nach der Entscheidung selbst auf – und so ist es schwierig, die Spuren zurückzuverfolgen und erfolgreiche Ursachenforschung zu betreiben.

Eine besonders gravierende Barriere tut sich dort auf, wo Werkzeuge, die einen analytischen Charakter besitzen und mehr und mehr als unverzichtbar angesehen werden, selbst zu Erklärungsmodellen der bearbeiteten Märkte und Organisationen werden. Dies gilt insbesondere auch für die strategische Planung, die immer mehr zu einem Fetisch geworden ist und häufig nicht mehr “um ihrer selbst” angewandt wird, sondern weil sie

  • vermeintlich ein Abbild der Realität schafft, die so handhabbar werden möge,
  • Begriffswelten bietet, die Orientierung und Handlungsplanung versprechen,
  • die mathematische Form des Selbstbetruges nahe legt: Konsistenz mit Richtigkeit gleichzusetzen
  • und von hohem Prestige für das Managementselbstverständnis ist.Vielleicht halten wir uns besser an den Züricher Stadtplaner Robert Nef, der schon vor 20 Jahren spottete, dass die Planung das Ersetzen des Zufalls durch den Irrtum sei. Während wir nun dem Zufall hilflos ausgeliefert sind, haben wir als Planer immerhin die Möglichkeit, vom größeren zum kleineren Irrtum fortzuschreiten. Planung kann also bestenfalls geeignet sein, größere Fehler zu vermeiden, aber sie kann uns nicht zeigen, was das Richtige ist … es sei denn, wir wollen mit ihren Instrumentarien belegen und untermauern, was wir ohnehin zu tun beabsichtigt hatten.Was ist denn nun dieses Wundermittel Intuition?Im Umfeld von Intuition sind Begriffe wie Mut, Instinkt und Urteilsvermögen zu Hause, denn ohne gedankliche Risikobereitschaft und die Fähigkeit, uneindeutige Situationen ertragen zu können (tolerance of ambiguity), werden die Quellen der Intuition nie zugänglich.Was kann man nun tun, um diese Gabe Intuition zu halten, zu pflegen und zu fördern?
  • Intuition ist eine Qualität, die sich immer erst im Nachhinein erweist, wenn sich die Lösung, der Fortschritt, der Erfolg eingestellt haben. Sie ist das “Aha-Erlebnis”, das die Informationen und Fakten neu ordnet und in der Nachbetrachtung alles so plausibel erscheinen lässt, dass man sich stets aufs Neue wundert, nicht schon vorher oder gleich darauf gekommen zu sein.
  • Zuerst einmal ist die Intuition ein Wissen, das man ohne rationales Denken gewonnen hat und das irgendwo auf dem nicht bekannten Wege zum Ziel die Jahre der Erfahrungen und des Lernens zu einem Geistesblitz komprimiert. Ein wahres Feuerwerk an Anschauungsunterricht ist hierzu in Arthur Koestlers “Der göttliche Funke” nachzulesen.
  • Während nun die Planungsphilister noch dabei waren (und sind), das Durcheinander zu ordnen, hat Henry Mintzberg schon Mitte der 70er Jahre die ketzerische These aufgestellt, dass manche Wirtschaftler fälschlicherweise den Schlüssel zum Management in der Leichtigkeit der logischen Analyse gesucht haben, während er vielleicht im Dunkel der Intuition verloren gegangen ist. Mintzbergs pragmatische und hautnahe Untersuchungen über das, was den Manager ausmacht, haben die Führungskraft sehr viel mehr als eine ganzheitlich denkende, von Visionen geleitete, häufig intuitiv entscheidende, das Chaos liebende Persönlichkeit beschrieben, die mit hoher Geschwindigkeit arbeitet, sich schnell von einem Thema auf das nächste umstellen kann und muss, kurzfristig entscheidet und sich ständig auf Ahnungen, Vermutungen, eben auf Intuition verlässt, um die Probleme zu bewältigen, die für eine rationale Analyse viel zu umfassend (oder ungeeignet!) sind.
  • Vor allem ist die (strategische) Planung geeignet, die Unsicherheit des Wissens durch die Sicherheit des Glaubens aufzuheben. So kann Planung Entscheidungssicherheit schaffen, wo vollständige Ratlosigkeit geboten wäre. Und so manches, was durch die Mühle von Prüfung und Bewertung läuft, ist eher Ausdruck unseres Prozessierens mit der Realität, nicht Ausdruck von Prozessen der Realität.
  • Zuallererst einmal daran glauben, dass es sie gibt und immer vor Augen führen, wo sie uns und anderen widerfahren ist.
  • Nicht dem Denken dann Einhalt gebieten, wenn uns die Informationen fehlen, sondern spekulieren. Dies ist auch nichts anderes als folgerichtiges, logisches Denken, basierend auf (intuitiv bestimmten) Prämissen und Vermutungen, also “weichen” Informationen, statt auf “harten” Fakten.
  • Und das “pars pro toto” pflegen und trainieren. Nur diese Fähigkeit zum unmittelbaren Erkennen einer Ganzheit von einem wesentlichen Detail her versetzt uns in die Lage, Komplexität und Vielfalt langfristig erfolgreich zu managen. Denn gerade in der Flut von Informationen und dem Zwang zur Analyse steckt viel Paralyse.Auch sollten wir unseren Anforderungen an – und unser Bild von – Planung öffnen und nicht so tun, als wenn es im Wesentlichen darum ginge, zwischen schon bekannten Alternativen zu unterscheiden. Immerhin ist es wichtiger, im Großen und Ganzen richtig als exakt falsch zu liegen. Dies bedeutet auch anzuerkennen, dass eine Planung unmöglich zugleich allgemein, genau und einfach sein kann.Gute Planung ist ein Schlüssel, der passt, wenn er das Schloss aufsperrt, aber das Passen beschreibt nur die Fähigkeit des Schlüssels, nicht aber das Schloss (oder gar was hinter der Tür ist). Dann können wir mit Fug und Recht sagen, dass die ganze Bedeutung einer Planung und der Preis dafür, sich nach ihr und nicht nach anderem gerichtet zu haben, darin liegt, dass dieser Zeitraum weniger schlecht verlaufen ist, als er hätte verlaufen können.
  • Zu guter Letzt sollten wir immer einige Bilder und Metaphern bereithalten, die uns helfen, Abstand zu den Einflüsterungen der Fakten zu wahren (und dennoch mittendrin zu sein), um zwischen dem Erkennen der Unmöglichkeit und dem Nichterkennen der Möglichkeiten unterscheiden zu können.
  • Halten wir uns doch mehr an den einfachen Hirten, der obwohl nur über die Zahlwörter eins, zwei und viele verfügend, dennoch sofort bemerkte, ob und welche Tiere aus der Herde fehlten, auch wenn die Zahl der Tiere deutlich über 100 ging.

Geschichten über Führungskräfte und solche, die keine sein wollen (Dr. Simon Geisler & Rainer Wagner)

Und dann war da noch der Leiter der Buchhaltung, der – nach seinem Führungsstil gefragt – fröhlich kundtat, zum Glück müsse er gar nicht führen: „Wir verstehen uns alle so gut!“. Wenig später antwortete der Leiter der Logistik, ein ehemaliger Soldat, auf dieselbe Frage kurz und knapp, er führe seine Leute „eng“. Was das bedeutete, konnten wir kurz darauf beobachten. Der Leiter der Logistik machte nämlich so gut wie all das selbst, was auch nur so aussah, als könnte es anspruchsvoll sein. Die regelmäßigen Kuren, die er wegen allgemeiner Erschöpfung deshalb benötigte, konnten glücklicherweise durch einen aufgeweckten Assistenten aufgefangen werden.

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Der resignierte Geschäftsführer, nach seinem Eindruck gefragt, lächelte müde und antwortete mit einem längeren Satz, in dem es umfänglich um Nasen und Tische ging, auf denen in der Buchhaltung zum Gaudium mehr oder minder der gesamten Organisation getanzt werde. Bevor er etwas zur Logistik sagen konnte, klingelte das Telefon.

Fairerweise muss gesagt werden, dass beide – der Leiter der Buchhaltung und der Logistikleiter – mit ihrer Haltung nicht alleine stehen. Beide sind – wie das Alte Testament über den Teufel sagt – Legion.

In verschiedensten Projekten begegnen sie uns deshalb immer wieder. Führungskräfte, die keine sind, weil sie letztlich keine sein wollen, auch wenn sie das selbst weit von sich weisen würden. Führung hat viel mit Kommunikation zu tun. Vermutlich gilt deshalb auch für Führungskräfte – in leicht abgewandelter Form – die alte Watzlawick‘sche Kommunikationsmaxime: Man kann – als Führungskraft – nicht nicht führen. Selbst wenn man es – wie der Leiter der Buchhaltung und auf seine Weise auch der Logistikleiter – immer wieder versucht: Innerhalb einer auf die Erreichung bestimmter Ziele ausgerichteten Organisation bleibt die Leerstelle Führung schmerzhaft offen, wenn sie nicht gefüllt wird. Die Notwendigkeit, aktive Führungsarbeit zu leisten, ist der Organisation eingepflanzt. Und sie erhebt sich irgendwann wie ein böser Geist, wenn man sie standhaft ignoriert.

Denn was beide Führungskräfte eint, ist das irrige und letztendlich gefährliche Bestreben, die ihrer jeweiligen Position geschuldete Führungsarbeit durch etwas jeweils anderes, vermeintlich Einfacheres und Sichereres zu ersetzen. Der Leiter der Buchhaltung überzeugt sich selbst täglich davon, distanzlose Freundlichkeit und laissez-faire würden das Setzen und Nachhalten von Zielen und das Durchsetzen von Standards ersetzen und ihm Konfrontationen ersparen. Der Logistikleiter macht hingegen lieber gleich alles selbst, um das Risiko des Delegierens und die aktive Entwicklung seiner Mannschaft und die damit verbundenen Risiken zu vermeiden.

Führung in dreifacher Ausfertigung

Ob er will oder nicht, wird der Berater im Projekt notwendig mit der Art der Führung seiner Kunden konfrontiert. Er muss sich mit der Art und Weise, mit der seine Partner auf Kundenseite im Projekt ihre Mitarbeiter führen, zwangsläufig auseinandersetzen. Auf diese Weise erfährt und lernt er notgedrungen viel über Führung. Gute Führung auf Seiten des Kunden kann ein Projekt deutlich erleichtern. Unwirksame Führung auf Seiten des Kunden kann ein Projekt in letzter Konsequenz scheitern lassen. Der Berater kommt also am Thema Führung nicht vorbei.

Um als Berater über Führung zu sprechen, behelfen wir uns mit einem einfachen Dreischritt. Denn Führung hat nicht nur mit Mitarbeitern zu tun. Sie fängt vielmehr direkt bei dem an, der führt. Es geht daher zunächst um

  • Die Führung der eigenen Person

Als nächstes geht es – wer hätte das gedacht? – um dasjenige, dessentwillen geführt wird, also um

  • Die Führung des Geschäfts

Und schließlich – da kommen die Tische, auf denen getanzt wird, ins Spiel – geht es natürlich um

  • Die Führung anderer

Alle drei Aspekte hängen untrennbar zusammen, bedingen und beeinflussen sich gegenseitig – und machen genau deshalb die Sache so schwierig, wie sie leider nun einmal ist.

Um die Dinge nicht unnötig zu verkomplizieren, bietet es sich daher an, ein Projekt – in dem es, wie gesagt, immer auch um Führung geht – ehrlicherweise als das zu sehen, was es letztlich ist: Ein Western alter Schule.

Warum sind Projekte Western?

Worum geht es im Western? Der Western – auch in seiner abgeklärten, späten Ausprägung – ist ein Film über den weiten leeren Raum, der vom Menschen sinnvoll gefüllt sein will. Der weite, leere Raum, das ist John Fords Monument Valley, das sind die Salzwüsten und die endlose Prärie mit ihren Büffelherden. Gefüllt wird dieser Raum mit Blockhütten, kleinen, windschiefen Städtchen, ihren Saloons, Freudenhäusern und Spielhöllen, mit Eisenbahnen, Bergwerken und Viehherden. Gefüllt wird er darüber hinaus mit Regeln, mit Gesetzen und Mechanismen zu deren Durchsetzung, mit praktischer Autorität, mit einem männlichen Ehrenkodex und Vorstellungen von weiblicher Treue und Tugend.

Weil dieser Raum so weit und leer ist, die Lebensbedingungen in ihm hart und die Entfernungen schier endlos sind, ist der Füllmodus immer ein gewaltsamer. Es kommt ständig zu Konflikten, mit Naturgewalten, mit Ureinwohnern, mit anderen Siedlern, mit Gesetzlosen und skrupellosen Oligarchen. Im Western werden gewaltsam Selbstbild, Sprache und Gestus einer noch sehr jungen Nation erfunden, die heute nicht mehr ganz so jung ist. Vieles wird zum ersten Mal getan und das meiste unter extremen Bedingungen, weshalb auch die daraus entstehenden Konflikte meist extrem sind.

Ein Entwicklungs- oder Aufbauprojekt in einer Organisation ist deshalb durchaus mit der Überwindung der „frontier“, mit der Besiedlung des alten – gern als „wild“ apostrophierten – Westens vergleichbar. Denn auch hier geht es immer darum, „wildes“ Neuland zu betreten, alte Traditionen hinter sich zu lassen, sich Ungewissheit und der Gefahr des Scheiterns auszusetzen. Man betritt einen neuen Raum, in dem zunächst einmal gar keine Regeln zu gelten scheinen und muss diesen Raum mit eigenen Regeln füllen und diese auch durchsetzen. Daraus entstehen Konflikte.

Bilder von Führung gehören deshalb zu allen großen Western, denn die Füllung des endlosen Raumes, die Überwindung der „frontier“, sind Situationen, in denen die Notwendigkeit wirksamer Führung ohne weiteres offenbar wird. Hier gilt es, gemeinsam ein Ziel zu erreichen oder – das ist im Western im Regelfall die Alternative – unterzugehen. Wohl deshalb haben sich die Protagonisten der großen Western allseits so großer Beliebtheit erfreut. Denn das Drama der Notwendigkeit von Führung, der Erfolg dabei und das klägliche Scheitern darin, ist das zentrale Thema vieler Westernklassiker und auf die eine oder andere Weise sogar Thema letztlich aller Western.

Und weil aus diesen Gründen Projekte letztlich Western sind und darüber hinaus das Thema Führung in beiden eine zentrale Rolle spielt, schließlich das Format des klassischen Westerns die Dinge in hervorragender Weise auf den Punkt bringt, zuspitzt und nachvollziehbar macht, macht es Sinn, sich die drei Aspekte von Führung, wie sie oben erläutert sind, im Setting des Western nochmals zu veranschaulichen.

Rio Bravo

Geeignet dafür erscheint Howard Hawks‘ zeitloser Klassiker „Rio Bravo“, der von Kritikern regemäßig zu den besten Filmen der Welt gezählt wird und von dem der Regisseur Quentin Tarantino zu sagen pflegt, bevor er mit einem Mädchen ausgehe, schaue er mit ihr Rio Bravo, um sicherzugehen, wes Geistes Kind sie sei.

Der Film ist alt und hinlänglich bekannt, dennoch sei die Grundkonstellation, um die es geht, nochmals kurz beschrieben.

Sheriff John T. Chance (John Wayne) ist Sheriff in einer unbedeutenden Stadt. Sekundiert wird er von seinen Deputies Dude (Dean Martin) und Stumpy (Walter Brennan). John Wayne ist als Sheriff Führungskraft, sowohl den Bewohnern seines Städtchens als auch seinem Team gegenüber. Die Situation seines Teams wird dadurch verkompliziert, dass Dude in Folge einer unglücklichen Liebschaft zum hoffnungslosen Alkoholiker verkommen ist, während Stumpy längst alt, zahnlos und quasi gehbehindert ist. Keine Frage: John T. (wie ihn die eine charmante Nebenrolle spielende Angie Dickinson stets nennt) hält den Laden zusammen. Die Unterstützung durch seine Deputies scheint, wenn überhaupt, nur eine symbolische zu sein. Dieses Bild ändert sich später lediglich ein wenig durch das Dazustoßen des forschen jungen Meisterschützen Colorado (Ricky Nelson).

Der Konflikt, um den es geht, ist folgender: Dude gerät auf der Suche nach Whisky in Streit mit dem cholerischen Bruder eines reichen Rinderbarons, der daraufhin einen unbeteiligten und unbewaffneten Saloonbesucher erschießt. John T. Chance verhaftet ihn daraufhin und will ihn wegen Mordes anklagen lassen (da das Opfer keinen Revolver trug – so die unbezwingliche Rechtsphilosophie des Western – muss es sich um Mord handeln). Der mächtige Bruder des Todesschützen lässt daraufhin die Stadt abriegeln und das Gefängnis belagern, in dem sich John T. Chance mit seinen Getreuen und dem Gefangenen verschanzt hat, um die Ankunft eines US Marshalls abzuwarten. Es kommt zu einer sich im Grad der Gewaltausübung sukzessive steigernden Abfolge von Versuchen, die im Gefängnis der Stadt isolierten Gesetzeshüter zur Aufgabe zu zwingen, bevor schließlich der  – im Wortsinn! – explosive Showdown folgt und der Konflikt entschieden wird.

John Wayne und die drei Ebenen der Führung

Einer der wesentlichen Reize des Films – neben vielen anderen – ist die Darstellung der Führungsfigur John T. Chance durch John Wayne. Denn offensichtlich ist John T. Chance eine hochwirksame Führungsfigur, obwohl es zunächst gar nicht unbedingt danach aussieht. Seine Gegner nehmen ihn nicht ganz ernst und auch die Bewohner der Stadt sind skeptisch angesichts seines Festhaltens an seiner scheinbar defizitären Mannschaft (man denke an den entweder betrunkenen oder verkaterten Dude und den quengelnden und humpelnden Stumpy).

Trotz aller Hindernisse und trotz der gewaltigen Übermacht seiner Gegner führt John T. Chance sein Team zum Erfolg. Ein Erfolg, den er, wie an verschiedenen Stellen des Films sehr deutlich wird, auch niemals allein hätte erreichen können. Das Erfolgsrezept, das von Seiten des Sheriffs dahinter steht, ist vielmehr eine hochwirksame und sehr effiziente Führung. Doch wie sieht diese Führung aus? Anhand der drei Seiten von Führung lässt sich diese Frage recht einfach beantworten.

Führung der eigenen Person: Gewehr statt Revolver

Vereinfacht gesagt: John T. Chance weiß, was er tut, und er weiß, was er kann. Anhand dieses Wissens formatiert er die Maßnahmen, die er ergreift, kalkuliert die Risiken, die er eingeht, und bestimmt seinen Auftritt gegenüber Mitarbeitern und Konkurrenten.

So trägt er neben dem obligatorischen Revolver stets ein Gewehr mit sich herum. Danach gefragt, warum er das tue, antwortet er wie selbstverständlich, dies sei notwendig, weil es Männer gebe, die mit dem Revolver schneller seien als er selbst. Das Gewehr gleicht folglich an dieser Stelle die selbsterkannte Schwäche des zu langsamen Griffs nach dem Revolver aus. Voraussetzung dieser – für einen Westernhelden durchaus ungewöhnlichen – Aussage ist jedoch ein erhebliches Maß an Selbstreflexion und Kritikfähigkeit. Selbstreflexion ermöglicht an dieser Stelle zunächst die Erkenntnis, dass eine Schwäche vorliegt (er ist mit dem Revolver nicht schnell genug, um sich gegen jeden Gegner durchsetzen zu können). Darüber hinaus wird basierend auf dieser Erkenntnis die Lösung des Problems möglich (das Tragen des Gewehrs).

Gegenüber den Städtern wie seinen eigenen Leuten tritt John T. Chance in Folge authentisch und überzeugend auf. Authentisch, weil er nicht vorgibt, etwas zu können, was er nicht (oder nicht in ausreichendem Maße) kann, und überzeugend, weil er für seine erkannte und offen kommunizierte Schwäche eine effektive Lösung anzubieten hat. Das offene Eingeständnis einer kompensierbaren Schwäche mindert daher seine Autorität nicht nur nicht, sondern erhöht sie im Gegenteil sogar, denn der Patrouillengang mit dem vorgehaltenen Gewehr ist im Film so etwas wie sein Markenzeichen, das ihn als Autoritäts- und Respektsperson ausweist.

John T. Chance ist somit im besten Sinne durchlässig. Er ist durchlässig für die (selbstgeübte) Kritik an seinen eigenen Fähigkeiten, die ihn in Folge dazu befähigt, eigene Schwächen festzustellen und eigenständig zu beheben bzw. auszugleichen.

Diese Durchlässigkeit ist das zentrale Element der Führung der eigenen Person. Nur wenn sie vorhanden ist, kann die Führungskraft sich ständig selbst hinterfragen und ihre eigenen Standards überprüfen und an ihnen feilen. Diese Standards und ihre Einhaltung wiederum erzeugen jene Glaubwürdigkeit der Führungskraft, die Vertrauen bei Mitarbeitern und Achtung bei Konkurrenten und Gegnern herstellt. Entscheidend dabei ist, dass es nicht primär um die meisterhafte Beherrschung einer bestimmten Fertigkeit (das schnelle Ziehen) geht, sondern um die Erkenntnis und ihre konsequente Umsetzung, dass für den Sheriff wie seine Deputies die wirksame Selbstverteidigung mittels Schusswaffe ein entscheidender handwerklicher Standard ihres Berufes ist. Dieser Standard muss stets überprüft und notfalls durch Umwege erfüllt werden. Das bewusste Tragen des Gewehrs als Substitut für den schnell gezogenen Revolver ist daher kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr eines von hochwirksamer Führung der eigenen Person.

Führung des  Geschäfts: Keine Hilfe von Amateuren

Das Geschäft des Sheriffs ist gefährlich und beschwerlich. Im Lauf des Films findet sich John T. Chance so ziemlich allein weiter Flur wieder. Zwar erhält er diverse Unterstützungsangebote aus seiner Stadt und vom Führer eines durchreisenden Viehtrecks. Er lehnt jedoch alle diese Angebote konsequent ab.

Interessant sind seine Gründe für diese Ablehnung. Er weist diese Angebote nämlich nicht aus Stolz oder falsch verstandener Rücksicht von sich, sondern weil er sein Geschäft zu gut kennt. Wohlmeinende Amateure – so erklärt er dem erstaunten Führer des Viehtrecks – seien seiner Sache nicht nur nicht dienlich, sondern würden mehr schaden als nutzen. Denn um sein Geschäft erfolgreich zu betreiben (also den Kampf mit den Schergen des Viehbarons aufzunehmen) seien sehr hohe handwerkliche Standards und das entsprechende Commitment an die Sache notwendig. Gewöhnliche Cowboys und Möchtegern-Revolverhelden, die vor allem an ihre Lieben zuhause dächten, seien dafür nicht geeignet. Durch diese Defizite und Prioritäten würden sie zur Gefahr für sich selbst (durch ihr Unvermögen) und für den Sheriff (durch ihre mangelnde Verlässlichkeit).

Als der Führer des Viehtrecks auf den Gedanken verfällt, dass zwar er selbst womöglich keine Hilfe, dafür jedoch der junge Revolverschütze Colorado ganz hervorragend geeignet sei, lehnt dieser mit Verweis auf die aussichtslose Situation und das hohe Risiko dankend ab. Den Sheriff erschüttert das durchaus nicht. Seine Kenntnis seines Geschäfts und der Menschen, mit denen man darin zu tun hat, lässt ihn diesen  Rückzug des jungen Mannes sogar als außergewöhnliche Klugheit und Souveränität erkennen: „Er ist so gut, dass er das nicht jedem zeigen muss.“.

Bemerkenswert ist, dass John T. Chance auch angesichts der völligen Isolation von jeglicher Unterstützung nicht einen Millimeter von dieser Einschätzung der Sachlage abweicht und darin absolut konsequent bleibt. Seine Einschätzung ist illusionslos und erfahrungsgetrieben. Das wiederum ist der Grund dafür, dass seine eigene kleine Mannschaft seine Einschätzung und die daraus erwachsene Zurückweisung aller Hilfsangebote klaglos hinnimmt und jederzeit bereit ist, ihm zu folgen. Obwohl er die Situation, in der alle gemeinsam stecken, dadurch sogar scheinbar noch schwieriger macht, führt dies nicht dazu, dass sich seine Leute von ihm abwenden oder gar das Weite suchen, sondern er erreicht damit im Gegenteil ein noch höheres Vertrauen und Commitment seiner Mannschaft.

Entscheidend für die Führung des Geschäfts sind an dieser Stelle folglich die sichere Beherrschung der Materie, ein hohes Maß an Erfahrung und die Bereitschaft, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, auch wenn diese schwierig und unangenehm sein sollten.

Die Führung anderer: Dude, Stumpy und Colorado 

In der Führung anderer laufen alle Faktoren, die bei den zwei vorhergegangenen Ebenen erfolgreicher Führung zum Tragen kamen, zusammen. Hier findet auch die eigentliche Nagelprobe statt, denn Führung ohne „andere“ ist keine wirkliche Führung.

John T. Chance steht im Film an dieser Stelle nicht nur von einer extrem schwierigen Führungsaufgabe, sondern insbesondere vor einem hochanspruchsvollen Personalentwicklungsproblem.

Denn bis auf den später hinzustoßenden Colorado leidet sein gesamtes Team unter teils extremen Defiziten, was die gemeinsame Bewältigung der Aufgabe noch schwieriger macht als sie ohnehin schon ist.

John T. Chance führt hier in einem – für das stark hierarchiegeprägte Genre Western – bemerkenswert offenen Entwicklungsmodus. Das beste Beispiel ist der ehemals zuverlässige, mittlerweile aber alkoholkranke Deputy Dude. Obwohl dieser von seiner ursprünglichen Leistungsfähigkeit aufgrund seiner Trunksucht weit entfernt ist, hält Sheriff Chance unbeirrbar an ihm fest und offenbart dadurch bemerkenswerten personalentwicklerischen Weitblick. Einer der schönsten Aspekte des Films ist zu verfolgen, wie John T. Chance dem unter seiner alkoholbedingten Unfähigkeit leidenden Dude weiten Raum lässt und ihn schrittweise zu der Einsicht bringt, dass eine Änderung seiner Lebensgewohnheiten dringend erforderlich ist. Einerseits ist er dabei bis zur Schmerzgrenze tolerant (deutlich toleranter als die Städter und der Führer des Viehtrecks, die Dude längst abgeschrieben haben), andererseits hält er dem verkaterten Dude selbst dann gnadenlos den Spiegel vor, als dieser wieder erste Erfolge zu verzeichnen hat: „Dieses Mal hast Du sie überrascht, weil niemand mehr mit Dir gerechnet hat. Das nächste Mal werden sie vorbereitet sein.“

Was John T. Chance dabei tut, ist durch bewusste Führungsinterventionen Dudes Führung seiner eigenen Person wieder auf den Standard zu heben, den Chance aufgrund seiner Kenntnis des Geschäfts für unabdingbar hält. Er entlässt ihn dabei nie aus der Verantwortung für diese Führung seiner eigenen Person und verlangt von ihm jederzeit, sich bewusst mit seiner eigenen Entwicklung (also seiner Alkoholsucht) auseinanderzusetzen. Sein Feedback ist hart und für Dude extrem schmerzhaft. Doch John T. Chance gelingt es auf diese Weise, Dude zu entwickeln. Über mehrere Rückfälle erlangt Dude aufgrund der Führungsinterventionen des Sheriffs schrittweise seine alte Souveränität zurück und überwindet allmählich das alkoholbedingte Zittern seiner Hände. Als John T. Chance den maßgeblichen Entwicklungsschritt getan sieht, belohnt er Dude, indem er ihm seinen zu besseren Zeiten getragenen Revolvergürtel samt Revolver zurückgibt. Dude hatte ihn versetzt, um an Geld für Whisky zu kommen, Chance hatte ihn vorsorglich ausgelöst.

John T. Chance leistet damit einen erheblichen Vertrauensvorschuss, indem er Dude den nötigen Entwicklungsfreiraum  zugesteht, gleichzeitig jedoch diesen stets an seinen unverrückbaren handwerklichen Standards misst. Sobald er sich fängt, wird Dude wieder zum vollwertigen Teammitglied. Doch zunächst muss er sich beweisen. Sheriff Chance beweist Führungssouveränität darin, die Ungewissheit, ob sich Dude fangen wird oder nicht, auszuhalten, und trotz diverser Rückschläge an seinem Entwicklungsziel für ihn festzuhalten, ohne zugunsten eines schnellen Erfolges seine Standards zu senken.

Ähnlich souverän werden Colorado und Stumpy vom Sheriff geführt. Ersterer erhält sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit, da John  T. Chance von seinen Fähigkeiten und vor allem nach dessen ursprünglicher Weigerung zu helfen von seinem Commitment überzeugt ist.

Bei dem alten Stumpy hingegen verhält es sich genau umgekehrt. Dieser bringt zwar nahezu grenzenloses Commitment mit, muss jedoch in seinem Einsatzeifer von John T. Chance stets gebremst werden. Stumpy fehlt die Einsicht, dass er aufgrund seiner Gehbehinderung für das Team außer an seinem angestammten Posten als Gefängniswache eher hinderlich ist. Der Sheriff hingegen weiß genau einzuschätzen, an welcher Stelle Stumpy am wirksamsten seine Talente zum Einsatz bringen kann und bringt ihn dazu, sich auch eben darauf zu beschränken. Der Showdown des Films offenbart allerdings, dass es Situationen geben kann, in denen sich auch die kluge Führung des Sheriffs als kurzsichtig erweist. Schließlich ist es Stumpy, der im entscheidenden Moment den nötigen explosiven Input bringt, um das letzte Gefecht für sein Team zu entscheiden und damit in seiner Entwicklung über die ihm gesetzten Grenzen hinaus wächst.

John Waynes Entwicklungsmodus

Gemeinsam ist allen drei Fällen, dass John T. Chance bei der Führung anderer die wesentlichen  Aspekte der ersten beiden Führungsebenen kombiniert und unterstützt durch Empathie und Menschenkenntnis wirksam zur Geltung bringt. Die eigene reflektierte Entwicklungsfähigkeit führt, gepaart mit der richtigen Einschätzung der jeweiligen Situation und der Beherrschung der notwendigen handwerklichen Standards dazu, dass John T. Chance sowohl Entwicklungsstand wie Entwicklungspotential seiner Mitarbeiter genau erkennt und daraus die richtigen Schlüsse zieht. Er treibt die Entwicklung seiner Mitarbeiter durch regelmäßige Führungsinterventionen und vor allem durch ständiges Feedbackgeben voran, ohne in den Irrglauben zu verfallen, diese Entwicklung vollständig und gewaltsam steuern zu können. Er weiß, dass er die für die erfolgreiche Führung der eigenen Person nötige Selbstreflexion nicht erzwingen, sondern nur fördern und begünstigen kann.

Schließlich verteilt er die Aufgaben in seinem Team entsprechend dieser jeweiligen Erkenntnisse. Dies führt dazu, dass Aufgaben nach individuellen Fähigkeiten und Stärken, aber auch nach Entwicklungsgesichtspunkten zugeteilt werden, so dass beispielsweise Dude gezielt an seinen Herausforderungen wachsen und vom Alkoholiker zum respektierten Deputy werden kann.

Sheriff Chance findet so die Mitte zwischen der hartnäckigen Verweigerung von Führungsarbeit in Form von laissez-faire (der eingangs erwähnte Leiter der Buchhaltung) und dem misstrauisch-ängstlichen Selbstmachen (sein Kollege, der Logistikleiter). Er nimmt die Herausforderung, führen zu müssen, bewusst an, durchdringt sie auf allen drei Ebenen und es gelingt ihm auf diese Weise, ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen und seine Mannschaft wirksam zum Erfolg zu führen.

Die drei Ebenen der Führung greifen somit im Film ständig ineinander und treiben sich gegenseitig an. Sie treiben gleichzeitig den Plot des Films voran und sorgen dafür, dass die an sich anspruchslose Geschichte eine Vielzahl interessanter psychologischer Facetten erhält. Dies wiederum trägt maßgeblich dazu bei, den Film weit über den Durchschnitt zu heben und macht ihn zu dem zeitlosen Klassiker, der er heute ist.

Singen die Berater?

Jedes Projekt ist ein Western – soweit waren wir uns einig – aber natürlich ist nicht jedes Projekt Rio Bravo. Solche glorreichen Konstellationen sind von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Manchmal kommen  sie zusammen. Dann sind ganz ähnlich wie im Film die erstaunlichsten Entwicklungserfolge zu beobachten.

Im Angesicht der größten Projektkrise allerdings einen charmanten Song anzustimmen (dies geschieht im Film, wie Regisseur Howard Hawks lakonisch anmerkte, „weil zwei der Hauptdarsteller Sänger sind“), gehört leider bislang noch nicht zu unserem Repertoire.

Aber wir sind ständig im Entwicklungsmodus. 

Die Grundstruktur der heute noch überwiegenden Organisationsform von Unternehmen und Institutionen ist weit über 2000 Jahre alt. Während die Pyramidenform, die einst ihren Ursprung in der Kirche und im Militär genommen hat, für lange Zeit den Gegebenheiten entsprechend logisch erscheinen konnte, müssen heute unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen Zweifel an der Leistungsfähigkeit dieser Organisationsstruktur aufkommen.

3 Faktoren, die auf eine Strukturierung von Organisationen großen Einfluss haben, seien hier stellvertretend für viele andere herausgegriffen: die Bildung, die Moral und die gesellschaftlichen Ideale.

In der Ursprungszeit industrieller Organisationen gab es ein Bildungsgefälle größten Ausmaßes. Analphabeten stellten das Gros aller Arbeitskräfte und zwischen dem Patron mit seinen Angestellten im Comptoir eines Betriebes, die lesen, schreiben und rechnen konnten, die sich auch sprachlich einigermaßen gewandt ausdrücken konnten (also mündig waren!), und den Arbeitern bestand schon aus diesem Grunde ein Abhängigkeitsverhältnis bis zum Ausgeliefertsein, weil diese sich ohne die Vorgesetzten überhaupt nicht artikulieren konnten. Sie waren auf deren Hilfe oder auf die des Lehrers oder Pfarrers angewiesen, mussten ihre Arbeit in kleinen Schritten vorgezeigt und zugeteilt bekommen.

An der Spitze der Organisation stand der ‚kann alles‘, an der Basis der ‚kann nichts‘. Dementsprechend hieß das Grundprinzip der Arbeitsgestaltung: vereinfachen, die Arbeit in kleinste Schritte zerlegen, idiotensicher machen, damit auch Analphabeten und Ungelernte sie verrichten können.

Heute haben sich die Bedingungen gründlich gewandelt. Wir kennen kaum noch Analphabeten unter uns und eigentlich muss sich niemand mehr vom Meister vorlesen oder vorschreiben lassen. Wir erleben den mündigen Mitarbeiter, dessen Formulierungskünste manchem Vorgesetzten Angst und Schrecken einjagen. Und es gibt viele Mitarbeiter, die nicht nur in ihrem Fachgebiet besser und aktueller ausgebildet sind als ihr Chef.

Die Arbeitszerlegung, die sich einst segensreich angelassen hatte, führt, wo sie heute nicht in Automatisierung mündet, zwangsläufig zu Unzufriedenheit, Unlust und zu Protesten. Die Diskrepanz zwischen Anforderungen einerseits und gewachsenem Selbstverständnis andererseits führt zu Unmut und Unlust. Herbert Groß hat dies schon vor über 50 Jahren in die einprägsame Formel gekleidet: ‚Überkönnen erzeugt Unterwollen!‘.

Nehmen wir als zweiten Faktor die Moral. Diese war vor 100 Jahren noch eine Konsequenz der ausgeprägt religiösen Erziehung, des Glaubens an Gott, den Allmächtigen, der alles sieht, der belohnt und straft, wenn nicht sofort, dann später, wenn nicht im Diesseits, dann im Himmel, Hölle oder Fegefeuer. Das betraf nicht nur Diebstahl, Ehebruch und Mord, sondern auch Fleiß, Gehorsam gegenüber allen Oberen, die Sorgfalt im Umgang mit fremden Sachen, Ehrlichkeit und Ehrerbietigkeit sowie andere Tugenden, durch die sich eine Organisation fruchtbar und reibungslos gestaltet. Heute ist de facto die Religion als altmodisches Relikt über Bord geworfen. Zwar gründet unsere Ethik noch in christlichem Glaubensgut, aber der moderne aufgeklärte Mensch ist nicht mehr überzeugt, dass Gott alles sieht und lenkt. Und wenn schon, Hauptsache der Chef sieht und hört nicht, dass man für viele Euros auf Firmenkosten telefoniert, im Netz surft, seinen Bürobedarf im Betrieb deckt oder hinter dem Rücken des Vorgesetzten bummelt. Hauptsache man wird nicht überführt, wenn man zum eigenen Vorteil schwindelt.

Unsere Moral ist eine Moral des ’nicht-ertappt-werden-Wollens‘ und es hat sich die Volksmeinung etabliert, dass die in Organisationen Kleinen den kleinen Reibach machen, während die Großen auch zur großen Selbstbedienung greifen. Gegenseitige Glaubwürdigkeit ist in Auflösung begriffen. Damit fehlt der ursprünglich stimmigen Organisation ein wichtiges Element zur Selbststeuerung. Und dem können auch corporate governance-Arbeitsgruppen und Vorträge zur Geschäftsethik nicht mehr auf die Sprünge helfen.

Eng verwandt mit der religiösen Ausrichtung ist der Glaube an eine heilige Ordnung (Hierarchie), die sich überall in der Gottesschöpfung wiederholt. Das hierarchische Dreieck mit Gott an der Spitze und den Sündern auf Erden an der Basis findet seine Entsprechung mit dem Kaiser und den Untertanen, mit dem Feldherrn und seinen Soldaten, mit dem Prinzipal und seinem Gesinde, mit dem Vater und der Familie, dem Lehrer und den Schülern etc. Damit war die Welt noch in Ordnung und jeder hatte sich an die Ordnung zu halten. Die Floskeln unter Schriftstücken an die Obrigkeit konnten nicht ‚à la untertänigst‘ genug ausfallen. Das Ideal war der brave Bürger, nicht der kritische, aufsässige, widerspenstige Zeitgenosse.

3 mächtige Säulen, auf denen die hierarchische Organisation ruhte, sind geborsten. Die Wandlungen, die sich vollzogen haben, drohen die Position der Mächtigen und der Obrigkeit mehr als anzukratzen. Machtgewinn des Einen geht nun einmal mit Machtverlust des Anderen einher. Die erste Reaktion derer, die ihre Souveränität im Unternehmen angefochten sahen, war, dass sie die ihnen zukommenden Druckmittel Einkommen und Beförderung, Beschäftigung oder Kündigung, Zuckerbrot und Peitsche noch ausgeprägter nutzten. Das Führungsmittel Angst wurde aktuell. Das hat zwar die Spannungen erhöht und im Regelfalle die Fruchtbarkeit der Zusammenarbeit nicht steigern können, doch schien es immerhin geeignet, die Pyramide, eine anscheinend klare und eindeutige Führungsstruktur, zu erhalten.

Soll man dies den Vorgesetzten verübeln, wo wir doch immer noch nicht wissen, welche neue Organisationsform an die Stelle der alten treten soll? Wo wir nicht einmal wissen, ob es eine Organisationsform gibt, die es an Effektivität mit der Pyramide aufnehmen kann?

Verhaltensforscher kamen auf den Plan, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen Menschen Leistungen erbringen oder mehr oder minder offen Leistung verweigern. Roethlisberger und Mayo haben schon vor 1000 Jahren das wichtigste aller Ergebnisse auf die Kurzformel gebracht: ‚men like to be important‘. Maslows und Herzberg konnten diesen ‚Kümmererfaktor‘ nur bestätigen. Die Psychologisierung des Managements hat seither ganze Bibliotheken gefüllt, den Chefs eingebläut, dass sie sich (nur noch) als Coach verstehen sollen und dass im Zweifelsfalle die Prozesse der Selbstorganisation das richten werden, was sonst nicht mehr zu richten ist. Das Arbeitsrecht hat aus Mitarbeitern aller Fach-und Führungsebenen fast die ‚untouchables‘ gemacht und das Mobbing ist auf dem besten Wege, die Kündigung als Trennungsverfahren abzulösen (denn Systeme finden bekanntlich immer Um- und Auswege).

Wenn wir heute auf unsere Organisationen schauen, finden wir meist eine Gemengelage in 7 Formen mit jeweils unterschiedlicher Ausprägung:

Da gibt es immer noch die ‚Wir machen das am besten so‘ oder Maschinen-Organisation:

  • ‚Alles läuft nach Schema F‘ – Abläufe und Verantwortlichkeiten sind definiert und eindeutig
  • ‚Der Einzelne ist austauschbar‘ – Die Proportionen innerhalb des Unternehmens verändern sich kaum
  • ‚Für jedes Thema hat einer den Hut auf‘ – Weisungsbefugnis und Verantwortung sind eng aneinander gekoppelt
  • ‚In der Planerfüllung liegt der Erfolg‘ – Die detaillierte Vorausplanung mit Soll-/Ist-Abgleich ist entscheidendes Steuerungsinstrument
  • ‚Wir haben klare Maßstäbe für Richtig und Falsch‘ – Es gibt öffentliche Verhaltensmaßregeln

Bestens bekannt ist auch die ‚Wir müssen das so machen‘ oder Bürokratische Organisation:

  • ‚Da sind Sie hier falsch‘ – Hochgradig funktional gegliedert, hohe Spezialisierung
  • ‚Das geht nur auf dem Dienstweg‘ – Kommunikation vor allem von oben nach unten und zurück,
  • vertikale Kommunikation wird nicht gefördert oder sogar unterbunden
  • ‚Sie sind doch erst 7 Jahre in unserem Hause‘ – Gewinn von Macht und Kompetenz durch Verweildauer
  • ‚Und wenn Sie der Kaiser von China wären …‘ – Loyalität gegenüber Verfahren und Regeln geht vor Loyalität gegenüber Personen
  • ‚Warten wir ab, bis es so weit ist‘ – Kaum Planung, sondern Reagieren mit Verfahren bei Eintreten bestimmter Vorfälle

In bestimmten Branchen hat sich die ‚Wir machen das jetzt wieder so‘ oder Organisation als Jagdgemeinschaft als besonders erfolgreich herausgestellt:

  • ‚Da muss man durch‘ – Initiationsriten beim Eintritt in das Unternehmen
  • ‚Dafür gibt’s einen Orden‘ – Sichtbarkeit von errungenen Erfolgen innerhalb und außerhalb des Unternehmens
  • ‚Das Trainingscamp der Ledernacken‘ – Eigenes, spezielles Ausbildungskonzept mit ‚lebenslanger Prägung‘
  • ‚Es geht um die Ehre‘ – Hohe Wertschätzung von Befehl, Gehorsam, Tradition und Aufopferung
  • ‚Gemeinsam an vorderster Front‘ – Führung und Mitarbeiter sitzen oft an einem Tisch

Die Trendforscher wiederum empfehlen uns die ‚Wir machen das wie Sie es wünschen‘ oder Organisation als englischer Butler:

  • ‚Der Kunde ist König‘ – Das Wohlbefinden des Kunden ist oberster Wert
  • ‚Der Mann für alle Fälle‘ – Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit, Treue etc. sind entscheidende Werte
  • ‚Das Orchester spielt bis in den Untergang‘ – Loyalität bis zur Selbstaufgabe
  • ‚Mit gutem Beispiel voran‘ – Die Unternehmensleitung als oberster Diener
  • ‚Ein Verstoß gegen die Etikette‘ – Wenig Toleranz bei Abweichungen von Verhaltensnormen

Deutlich aufstrebend ist die ‚Wir machen das so‘ oder Politische Organisation:

  • ‚Wenn ich nicht wäre …‘ – Zentrierung von Initiative und Entscheidungskompetenz auf die Unternehmensleitung
  • “Innerhalb welcher Struktur wir agieren ist nicht so wichtig‘ – Persönliche Loyalität geht vor Verpflichtung durch Regeln, Vereinbarungen und Planungsvorhaben
  • ‚Meine Truppen stehen‘ – Die Verantwortungs- und Aufgabenzuweisung ist von Führungsinteressen motiviert
  • ‚Heute machen wir das eben mal anders‘ – Geringe Standardisierung, Ausrichtung an persönlichen Vorgaben der Unternehmensleitung
  • ‚Davon habe ich nichts‘ – Karriere geht im Zweifelsfall vor inhaltlichen und geschäftlichen Erwägungen

Der Absteiger ist ‚Wir machen das, was richtig ist‘ oder Organisation als Glaubensgemeinschaft:

  • ‚Der schnöde Mammon …‘ – Weltanschauung und Werte gehen vor Geschäftsinteresse
  • ‚Dazu muss ich Dir eine Geschichte erzählen‘ – Legenden und Mythen bestimmen die Organisation (über Gründung, Führung, Feinde, Judas, Thomas, verlorene Söhne)
  • ‚Ich weiß selbst nicht, wie ich das alles hinkriege‘ – Selbstmystifikation der Führungskräfte
  • ‚Man sieht sofort, wo die herkommen‘ – Die Organisation ist von einer einheitlichen Ästhetik geprägt
  • ‚Den ganzen Tag im Auftrag des Herrn‘ – Aufhebung der Trennung von Privat- und Arbeitsleben

Und last but not least wollen wir auch die Systemtheoretiker nicht vergessen, die wie immer keine Antwort, aber eine gute Frage haben: ‚Wie machen wir das?‘ oder Organisation als Organismus:

  • ‚Was bringt mir das?‘ – Die Befriedigung von Bedürfnissen (sozial, physiologisch, psychologisch) steht im Vordergrund
  • ‚Wir finden schon einen Weg‘ – Geringe Formalisierung und Standardisierung
  • ‚Lebenslanges Lernen‘ – Flexible, anpassungsfähige Muster beim Austausch mit der Umwelt
  • ‚Auf schwierige Fragen gibt es keine einfachen Antworten‘ – Die interne Komplexität ist der Komplexität der relevanten Umwelt angepasst
  • ‚Wenn wir den nicht hätten‘ – Die Abhängigkeit von einzelnen Personen wird zugelassen

Wenn es dem geneigten Leser nun so geht wie vielen Führungskräften, nämlich hinreichend verwirrt zu sein, aber auf deutlich höherem Niveau, dann empfehlen wir den Rekurs auf das, was uns die Managementforschung der letzten 30 Jahre mit dem Begriff der situativen Führung nahe legt.

Demnach passen erfolgreiche Führungskräfte ihr Führungsverhalten so an, dass es den Anforderungen einer bestimmten Situation gerecht wird. Dann ist situative Führung eine Kombination aus zielorientiertem und beziehungsorientiertem Führungsverhalten in einer konkreten Situation, diese Situation kann beeinflusst werden durch

  • den Reifegrad der Mitarbeiter, der je nach Aufgabe unterschiedlich sein kann,
  • die jeweilige Zielsetzung,
  • die organisatorische Struktur und
  • die gesellschaftliche Umwelt.

Alles klar? Ja; Agilität vergessen, Sinnfrage aus dem Auge verloren, Team nicht genügend berücksichtigt, Diversität nicht im Fokus, work-life balance ignoriert, Innovation verpeilt und Disruption nicht neu vermessen.

Meine Empfehlung stammt von George Bernard Shaw: Leute, die in dieser Welt weiterkommen, sind diejenigen, die sich aufmachen, um nach den Verhältnissen zu suchen, die sie sich wünschen und wenn sie diese nicht finden, machen sie sie sich selbst.