Ein Streifzug durch unsere Innen- und Außenwelt.

Im September 1973 hat Rainer Werner Fassbinder in rund 4 Wochen einen ebenso poetischen wie gesellschaftspolitischen Film gedreht: Die Putzfrau Emma und der deutlich jüngere Gastarbeiter Ali treffen sich eines Abends In einer Kneipe. Die beiden tanzen zusammen und Ali begleitet Emma durch den strömenden Regen nach Hause. Emma bittet Ali in ihre Wohnung und es entwickelt sich im Gespräch zwischen Ihnen eine große Vertrautheit. Beide sind glücklich, jemanden zum Reden zu haben. Sie macht ihm das Gästebett damit er bei ihr übernachten kann; doch Ali liegt wach, kommt in ihr Zimmer, um sich weiter zu unterhalten. Schließlich schlafen die beiden miteinander. Der nächste Morgen nimmt nichts von der Nähe, die zwischen ihnen entstanden ist und Emma so sehr überwältigt, daß sie zu weinen beginnt. Hieraus entspinnt sich der Dialog, der dem Film den Titel gibt:

ALI: Bitte nix weinen, Ja? Warum weinen?

EMMA: Weil ich so glücklich bin und weil ich solche Angst habe!

ALI: Angst nix gut; Angst essen Seele auf!

Den zärtlichen, nachgerade entrückten Bildern von dem ungleichen Paar, die der Film einfängt, steht die Ablehnung entgegen, auf die ihre Liebesbeziehung in ihrem Umfeld trifft.

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf und Emmas Angst wird zur Gewissheit!

Die Angst und ihre Ideengeschichte sind wahrscheinlich so alt wie die Geschichte der Kultur. Sie ist ein vielschichtiges, komplexes Gefühl in verschiedensten Erscheinungsformen. Die Konzepte zur Erklärung der Angstentstehung sind ebenso zahlreich wie die Antworten auf die Frage, ob und wie Ängste überwunden werden können und ob Angstfreiheit überhaupt anzustreben ist.

Seit der Mensch sich reflektierend über sich selbst und die Welt verständigt, ist Angst sein Begleiter. Angst ist sein spezifisches Wesensmerkmal, ein Zeichen seiner konstitutiven Schwäche, sie wird in den unterschiedlichsten Formen gefühlt und erlebt.

Angst ist nicht nur eine Erfahrung des einzelnen Individuums, Angst stellt auch ein kulturelles und soziales Phänomen dar.

„ Hab keine Angst!“ sagen wir unseren Kindern – als religiöser Zuspruch heißt es „Fürchte dich nicht!“. Man könnte meinen, dass Angst ein eindeutig negatives Phänomen sei, das es zu vermeiden und zu überwinden gilt. Doch so eindeutig ist dies nicht; ein Leben ohne Angst ist nicht nur utopisch sondern auch gefährlich:

Ohne Angst fehlt uns ein Seismograph für reale Risiken des Lebens, für Grenzen, deren Überschreitung unser Leben beschädigen oder gar kosten kann. Sie kann aber auch motivieren, das jetzt Notwendige zu tun oder zu unterlassen. Angst kann also lebensfeindlich und/oder lebensdienlich sein. Angst und Ängste sagen etwas aus über uns, über unser Sosein und wie wird der Welt begegnen wollen.

Wir haben alle eine Vorstellung, eine Idee, eine Erfahrung von und mit Angst; wenn wir gemeinsam darüber sprechen, meinen wir, von etwas ähnlichem oder Gleichem zu reden. Man redet über Angst aber selten über die eigenen Ängste.

Nähern wir uns der Angst erst einmal praktisch:

Angst ist ein unangenehmes Gefühl, das mit bestimmten kognitiven und körperlichen Begleiterscheinungen einhergeht. Zu den kognitiven Erscheinungen zählen die Erwartung einer Gefahr, die Erkenntnis des Ausgeliefertseins oder eine Desorientierung, die eintreten kann, wenn klare Hinweisreize fehlen oder eine Situation mehrdeutig ist. Zu den körperlichen Erscheinungen zählen Schwitzen, Zittern, Puls Beschleunigung, Mundtrockenheit oder Harndrang. Auf der Handlungsebene begünstigt Angst eine der vier evolutionär angelegten Grundreaktionen: Flucht, Angriff, Zusammenrottung (Herdenbildung) oder Totstellen. Wenn diese Reaktionen in der aktuellen Situation nicht möglich sind, stellen sich Gefühle wie Hilflosigkeit, Machtlosigkeit oder Ausgeliefertsein ein.

Ängstlichkeit ist als habituelle Bereitschaft zu verstehen, Situationen und Objekte als bedrohlich wahrzunehmen; bei hoher Ängstlichkeit tritt diese Wahrnehmung sehr häufig und in vielen verschiedenen Situationen auf. Demgegenüber entstehen manche Ängste nur in bestimmten Situationen beziehungsweise treten nur in der gedanklichen oder physischen Konfrontation mit bestimmten Objekten oder Personen auf und nehmen damit den Charakter einer Furcht an. Die emotionale Qualität einer Furcht ist immer Angst. Während es sich bei der Angst um ein diffuses Gefühl handelt, dessen Inhalt gelegentlich bis oft unerklärlich erscheint, ist die Furcht sehr viel spezifischer und hat einen bestimmten Inhalt. Das können Objekte, Tiere, Personen, Tätigkeiten oder soziale Situationen sein. Auf je mehr Situationen oder Objekte sich eine Furcht bezieht und auch dann auftritt, wenn ein aktueller Auslöser nicht vorhanden ist, desto genereller wird sie und kann in eine diffuse Angst übergehen.

Bei einer Phobie handelt es sich um eine besonders intensive Furcht, deren Hauptmerkmal in einer starken Vermeidungstendenz besteht. Dabei werden die negativen Konsequenzen, die aus einer Begegnung mit dem Gegenstand der Furcht entstehen, meist überschätzt. Phobien werden zum einen dadurch – und nicht selten lebenslang – aufrechterhalten, dass man sich dem gefürchteten Objekt oder der (sozialen) Situation nicht aussetzt und dadurch keine Chance hat, die Überschätzung negativer Konsequenzen zu erkennen…und das Vermeiden zu einem positiven Befinden führt (negative Verstärkung).

Panikstörung, gern fälschlicherweise mit Agoraphobie gleichgesetzt, ist eine Sonderform der Phobie, die mit oder ohne erkennbare Auslöser zu extremen Angstzuständen (Todesangst) und massiven körperlichen Begleiterscheinungen führt. Die Angst vor dem Auftreten einer solchen Attacke (Angst vor der Angst) kann dann zu (auch zwanghaften) Veränderungen des Verhaltens (Vermeidungsreaktionen) führen; u.a. auch Agoraphobie. 3-5 % aller Menschen sollen im Laufe ihres Lebens temporär davon betroffen sein; die Prävalenz in den jüngeren Jahrgängen nimmt zu (15-24), Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Nähern wir uns der Angst dann eher theoretisch:

Wie bei vielen anderen psychischen Themen kommt man an Sigmund Freud nicht vorbei. Mit der Einführung einer Struktur der 3 psychischen Instanzen des Es, Ich und Über-Ich hat er ein heute eingängiges Erklärungsmodell angeboten. Während das Es die Triebkräfte repräsentiert, stammen die Kräfte des Über-Ichs aus der Verinnerlichung der Standards (der Ge- und Verbote) der elterlichen Autorität. Das Ich repräsentiert die exekutive Komponente der Psyche, d.h. seine Hauptaufgabe ist der Kontakt mit der äußeren Realität und die Anpassung des Individuums an diese Realität. Zusätzlich führte Freud mittels der aus dem Ich operierenden Abwehrmechanismen verschiedene Formen der Konfliktregulierung ein.

Das psychische Ereignis der Angst ist die kognitive Reaktion auf die Erwartung des Eintretens einer Gefahrensituation. Die Gefahrenabwehr hat er bestimmten Gefahrenklassen mit verschiedenen Angsttypen zugeordnet.

So wird die Real-Angst ausgelöst, wenn eine Beeinträchtigung des Organismus zu erwarten ist. Flucht, Angriff oder Suchaktionen sind die Methoden der Wahl, um die Angst zu bearbeiten.

Die neurotische Angst entsteht, wenn aus dem Es Bedürfnisse und oder Triebreaktionen wahrgenommen werden, die eine Beeinträchtigung des Organismus erwarten lassen. Beeinträchtigungen sind meist emotionale Verluste wie verschiedenste Formen des Liebesentzugs (Anerkennung, Geringschätzung, Verachtung, etc) ohne erklärende Einsicht.

Die moralische oder Über-Ich-Angst entsteht, wenn sich das Ich durch Handlungen oder Gedanken als nicht im Einklang erlebt mit den Geboten und Verboten des Über-Ichs. Hier wird dann die Angst vor Schuldgefühlen oder der Verlust von sozialen Kontakten antizipiert, meist begleitet von Versuchen der Anpassung des Denkens und Handelns an die Gebote und Verbote des Über-Ichs.

Angststörungen im pathologischen Sinne entstehen, wenn die Abwehrmechanismen nicht mehr funktionieren. Dazu an anderer Stelle mehr.

Die Schachter-Singer-Theorie, auch bekannt als Zwei-Faktoren-Theorie der Emotionen, ist eine psychologische Theorie, die Einblicke in das komplexe Zusammenspiel zwischen physiologischer Erregung, kognitiver Interpretation und emotionalen Erfahrungen bietet. Diese Theorie wurde Anfang der 1960er Jahre von den Psychologen Stanley Schachter und Jerome E. Singer entwickelt und revolutionierte das Verständnis davon, wie Emotionen erzeugt und erlebt werden. Demnach gibt es:

Physiologische Erregung: Eine Person erfährt als Reaktion auf eine Situation oder einen Reiz eine physiologische Erregung. Zu dieser Erregung gehören eine erhöhte Herzfrequenz, verschwitzte Handflächen und andere körperliche Veränderungen.

Kognitive Interpretation: Das Individuum interpretiert die Erregung kognitiv basierend auf dem Kontext und seiner Einschätzung der Situation. Bei dieser Interpretation geht es darum, die Ursache der Erregung zu identifizieren.

Emotionale Erfahrung: Die Kombination aus physiologischer Erregung und kognitiver Interpretation führt zum Erleben einer bestimmten Emotion. Die Emotion wird durch die kognitive Einschätzung der Situation durch den Einzelnen bestimmt.

Falsche Zuordnung von Erregung: Schachter und Singer führten außerdem das Konzept der Fehlzuordnung von Erregung ein, bei dem Personen ihre physiologische Erregung fälschlicherweise einer anderen Emotion als der durch die Situation erzeugten zuschreiben. Diese Fehlzuordnung kann zu Diskrepanzen zwischen tatsächlichen Gefühlen und wahrgenommenen Emotionen führen; das ist der Nährboden für Psychopathologien.

Das State-Trait- Modell der Angst, 1972 von Spielberger entwickelt, verfügt heute über eine breite Rezeption, die nicht zuletzt darauf beruht, dass ein modellkonformes, ökonomisches Meß- und Testinstrument intensive Forschungsarbeit ermöglicht.

Das Modell konzipiert Angst zweidimensional in Form einer Zustandsangst (State) und einer Eigenschaftsangst (Trait). Diese beiden Grundpfeiler der Angst werden nach Spielberger (1972) wie folgt definiert:

State-Angst ist ein emotionaler Zustand, der durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen gekennzeichnet ist. Physiologisches Korrelat ist eine erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystems.

Trait-Angst, umgangssprachlich Ängstlichkeit genannt, ist eine erworbene, zeitstabile Verhaltensdisposition, die bei einem Individuum zu Erlebens- und Verhaltensweisen führt, eine Vielzahl von objektiv wenig gefährlichen Situationen als Bedrohung wahrzunehmen.

Die beiden Konstrukte wirken zusammen und die Trait-Angst wirkt wie ein Potentiometer; hochängstliche Menschen erleben bei Bedrohungen (auch und gerade des Selbstwertgefühls) einen viel höheren Anstieg der Zustandsangst…und schaffen so die „Grundlage“ für psychische Angststörungen.

Eine kleine Geschichte der Angst

Angst ist keine Erfindung der Neuzeit. So kann es hilfreich sein, sich dem Thema Angst auch historisch zu nähern. Schon im vierten Jahrhundert vor Christus wurde der Gefühlszustand von Angst durch Philosophen wie Hippokrates und Aristoteles beschrieben, deren Augenmerk insbesondere der Beziehung zwischen einem gestörten Affekt und körperlicher Krankheit galt. Begriffe wie Angst (anxo), Panik und Phobien sind griechischen Ursprungs. So waren Pan und Phobos griechische Götter, denen als personifizierte Verursacher von Angst die Aufgabe zuteilwurde, Feinde in die Flucht zu schlagen. Angst war primär eine physische Reaktion.

Die Stoiker haben sich des Mutes als Gegenspieler der Angst bemächtigt; in der Stoa wurde die Unlust an Gegenwärtigem (aegritudo, Ärger) von der Unlust an Bevorstehendem (metus, Furcht) unterschieden und zu überwinden angestrebt.

Seneca sah die Unüberwindbarkeit einer libido moriendi als Vorwegnahme von Freuds Todestrieb. Augustinus, der die Angst als eine der vier menschlichen Hauptleidenschaften (zusammen mit Liebe, Trauer, Fröhlichkeit) sah, und Thomas von Aquin unterschieden die niedrige Furcht vor Strafe (timor servilis) von der höher bewerteten Furcht vor Schuld aus Ehrfurcht vor Gott (timor castus). Baruch de Spinoza hat, wie kein anderer Philosoph, die Ontologie des Mutes entwickelt.

Die Zeit nach Christus, das frühe und das späte Mittelalter sind im europäischen Kulturkreis voll von Ängsten, die wesentlich von Kirche und Religion befeuert wurden und sich als das bestwirksame Herrschaftsinstrument herauskristallisierten. Sie versprechen eine Befreiung von Angst („In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“, wird z.B. im Johannes-Evangelium (16, 33) gepredigt), die sie andererseits massiv schüren („jüngstes Gericht“, Höllenstrafe für die Sünden, Androhung der Reinkarnation oder ewigen Wiederkehr).

Ab dem 16. Jahrhundert ist auch ein individualpsychologisches Interesse an dem Thema Angst belegbar, beispielhaft sei hier William Lovells Bericht über „den Schmerz und die Angst des Ventrikels“ erwähnt.

Angst und Existentialismus

Richtig Fahrt aufgenommen hat der intellektuelle Diskurs der Angst dann mit dem Aufkommen der existentiellen Philosophie und deren Spiritus Rector Soeren Kierkegaard. 1844 erschien seine Schrift „der Begriff Angst“, wo er sich aus theologischer Perspektive mit Angst und Verzweiflung auseinandersetzte. Für die spätere und heutige Psychopathologie und Psychotherapie essentiell wurde seine Unterscheidung zwischen Angst und Furcht: Die Furcht als der Angst vor etwas Konkretem, einer Sache, einer Person, einem Ereignis gegenüber der Angst vor etwas Imaginären, Möglichen, Gedachten, Vermuteten oder Zugetragenen.

Friedrich Nietzsche kritisierte die christliche Herrschaft der Angst, die mit dem Gedanken an das Jenseits das Leben im Diesseits schwäche, der Schwachheit vor Kraft den Vorzug gebe: „wer das Gewissen des heutigen Europäers prüft, wird aus tausend moralischen Falten und Verstecken immer den gleichen Imperativ herauszuziehen haben, den Imperativ der Herden-Furchtsamkeit: wir wollen, dass es irgendwann einmal nichts mehr zu fürchten gibt! Irgendwann einmal – der Wille und Weg dorthin heißt heute in Europa überall der „Fortschritt“. (Jenseits von Gut und Böse, 1886, 201)

In dieser Denkwelt der existentiellen Philosophie (mit ausgeprägtem Zugang zu den Themen Angst und Verzweiflung) sind Martin Buber, Karl Jaspers, Martin Heidegger ebenso zu erwähnen wie Jean Paul Sartre und Albert Camus.

Die Angst in der Gesellschaft

Ein besonderer Platz in diesem Reigen gebührt Paul Tillich, der mit seiner 1952-er Monographie „der Mut zum Sein“ sowohl theologische und philosophische als auch soziologische und psychologisch-therapeutische Perspektiven auf die Angst, den Mut und den Lebenssinn geworfen hat.

Paul Tillich unterscheidet 3 Grundformen der Angst, denen er unterschiedliche Epochen zuordnet:

  • Die Angst vor Schicksal und Tod ist für die Antike und das Mittelalter konstitutiv
  • Die Angst vor Schuld und Verdammung kursieren besonders im späten Mittelalter und der Neuzeit
  • Die Angst vor Leere und Sinnlosigkeit ist signifikant für die Moderne

Da Angst eine Grundbestimmung menschlicher Existenz ist, treten alle 3 Formen zusammen auf; aber in unterschiedlichen Kulturen, Zeiten oder dominanten Anlässen variieren die Gewichtungen.

Wenn man den Soziologen, Philosophen, Psychologen und Medien glauben kann (und wer will das schon), sind wir seit 1947 und dem großartigen Poem von W.H. Auden im „Age of Anxiety“, das Leonard Bernstein 1949 zu seiner 2. Symphonie inspirierte und 1 Jahr später mit Jerome Robbins zu einem Meisterwerk des modernen Balletts. Pete Townshend, Frontman und Songwriter von „The Who“ hat 2019 unter dem gleichen Titel die Ängste seiner Generation und der Millennials autobiographisch aufgearbeitet.

Ulrich Becks Risikogesellschaft hat 1986 „ein Faß aufgemacht“ mit der Frage, wie wir bei den Risiken der Moderne überleben können.

Zu den Angstdiagnosen lassen sich auch Zygmunt Baumans Analysen zur sogenannten flüchtigen Moderne und der für sie typischen Liquid Fear (2006) zählen. Damit beschreibt Bauman nicht in erster Linie einzelne, konkrete Ängste, die sich auf spezifische Bedrohungen beziehen. Statt dessen stellt er heraus, dass Angst zunehmend losgelöst von konkreten Bedrohungen operiert und sich gerade durch ihren unspezifischen und diffusen Charakter um so leichter an diverse Phänomene heften kann.

Heinz Bude hat sich 2014 mit seinem Bestseller „Gesellschaft der Angst“ als Kassandra (allerdings mit Gehör) betätigt und last but not least hat Frank Furedis These einer Culture of Fear (zuletzt 2018), der zufolge Angst seit dem Ende des 20. Jahrhunderts zum zentralen Interpretations- und Erklärungsrahmen für ganz unterschiedliche zeitgenössische Erfahrungen wurde. Dabei betont er ähnlich wie Bauman, dass die gegenwärtige Form der Angst nicht als Reaktion auf konkrete, zeitlich befristete Bedrohungen aufzufassen sei, sondern ein generalisiertes Schema darstelle, das Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungen orientiert: „As a perspective, fear is not merely a response to a threat but a viewpoint or disposition towards the world in general.“ (Furedi 2018, S. 141).

Jonathan Haidt steht mit „Generation Angst“ (2024) ganz vorn in den Bestsellerlisten. Seine große Sorge gilt den Kindern und Jugendlichen, denen die Weltereignisse ungefiltert in die Gehirne gepumpt werden. Er sieht die Heranwachsenden in einem toxischen Geflecht aus Übervorsicht in der analogen Welt und „Anything Goes“ in der Digitalen.

Das Geschäft mit der Angst…

Scheint tatsächlich eines zu sein – sowohl für die, die es betreiben als auch für die, die es beklagen – in Sonderheit die Medien, in deren Text-, Wort-; Bildbausteinen das Geschäft mit der Angst ganz oben steht. Die Angst war und ist immer in der Welt, geändert (und/oder ergänzt) haben sich im Laufe der Zeit die damit verknüpften Konsequenzen (wenn der zugehörige Imperativ nicht befolgt wurde).

wenn-dann/wenn nicht-dann aber

war und ist die ultima ratio der Wirksamkeit und die folgsamkeitsverursachende Angst droht mit Folter und Tod, Exkommunikation und Hölle, ökonomischer Bedrohung und Jobverlust, Stigmatisierung, sozialer Ächtung und Ausgeschlossen sein, Besuchs- und Mobilitätsverbot, Krankheit und Tod der Liebsten.

„Corona“ war ein Musterbeispiel für den Einsatz von Angst zum Zweck der Befolgung. Heinz Bude, Autor der „Gesellschaft in Angst“ berichtet aus dem regierungsberatenden Expertengremium, wie man überlegt habe, in der Bevölkerung eine Folgebereitschaft als Gehorsam zu erzeugen: „ wir müssen ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bißchen wissenschaftsähnlich ist“. Daraus wurde dann „flatten the curve“. Es ging darum, Zwänge zu verordnen und Zustimmung zu gewinnen und dabei die Deutungshoheit in der Hand zu behalten. „und muß man da nicht hinterrücks ganz furchtbare Dinge wie Angstkommunikation, also sozialpsychologische Dinge benutzen, um solche Arten von Folgebereitschaften zur Veränderung von individuellem Verhalten vorzunehmen?“ (Podiumsdiskussion an der Universität Graz 2022)

Angst als Mittel zur Befreiung der Herrschaft von Widerspruch?!

Paul Tillich hat es 1952 schon präzise beschrieben: es gibt eine Situation, in der die Selbstbejahung des Durchschnittsmenschen neurotisch wird, nämlich wenn Veränderungen der Wirklichkeit, der er sich angepaßt hat, den fragmentarischen Mut bedrohen, mit dem er die gewohnten Gegenstände der Furcht gemeistert hat. Wenn das geschieht und es geschieht wiederholt in kritischen Epochen der Geschichte, wird die Selbstbejahung pathologisch. Die Gefahren, die mit der Veränderung verknüpft sind, das Unbekannte dessen, was auf einen zukommt, die Dunkelheit der Zukunft machen den Durchschnittsmenschen zum fanatischen Verteidiger der bestehenden Ordnung: er verteidigt sie so zwangsweise, wie der Neurotiker die Festung seiner Fantasiewelt verteidigt. Er verliert seine relative Offenheit der Wirklichkeit gegenüber, er erlebt eine ungeheure Tiefe der Angst. Und wenn er diese Angst nicht in seine Selbstbejahung hineinnehmen kann, verwandelt sie sich in Neurose.

Dafür sprechen auch die Zahlen über die Entwicklung psychischer Erkrankungen in Deutschland 2022: 132 Mio Tage Krankschreibung, stationär im Durchschnitt 29 Tage und damit an der Spitze aller Erkrankungen.

Im Jahr 2023 dauerte eine durchschnittliche Krankschreibung aufgrund einer psychischen Erkrankung (ICD-10 F00-F99) in Deutschland 32,7 Tage.

Die IKK meldet Ende 2023: Der Anteil der von einer Angststörung betroffenen Versicherten stieg bei der IKK classic innerhalb von zehn Jahren um über 37 Prozent. Besonders bei sozialen Phobien und Panikstörungen zeigt sich eine deutliche Zunahme: Bei den sozialen Phobien erhöhte sich der Anteil betroffener Versicherter der IKK classic von 2013 bis 2022 um 104,9 Prozent, bei den Panikstörungen um 77,0 Prozent. Von einer sozialen Phobie sind vor allem Kinder und junge Menschen bis 29 Jahre betroffen, auf die 2022 allein 46,7 Prozent der Diagnosen entfielen. Panikstörungen treten eher bei älteren Menschen auf. 48,2 Prozent aller Fälle wurden 2022 bei Menschen über 50 Jahre diagnostiziert.

Neuropsychologie der Angst

Angst ist nicht nur etwas imaginär Psychisches, sondern da geschieht auch einiges in der Physis. Blutdruck, Herzfrequenz, hautgalvanischer Widerstand können ebenso Begleiterscheinungen oder Ursachen sein wie Atemnot, Schmerzen in der Brust, Schwindel, Schockstarre oder Migräne. Die Angst wird in doppelter Hinsicht gefühlt.

Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich auch in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Doch woher wissen wir, ob und welche Gefahr droht? Der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux hat die zugrundeliegenden Mechanismen als einen Schaltkreis der Angst beschrieben, der über zwei Wege Informationen an die Amygdala sendet: einmal schnell, grob und fehleranfällig, und einmal langsam, aber durch genaue Analyse überprüft. Ausgangspunkt ist stets der Thalamus. Dieser Teil des Zwischenhirns bildet das Tor zum Bewußtsein und ist eine wichtige zentrale Schaltstelle für Nachrichten von den Sinnesorganen. Erhält er einen emotionalen Reiz wie zum Beispiel ein lautes Geräusch, leitet er eine grobe Skizze des Sinneseindrucks direkt weiter an einen kleinen Zellverbund („Furcht-an“ Neurone) in der lateralen Amygdala. Werden diese Zellverbände aktiviert, fließt die Information weiter zum zentralen Kern der Amygdala. Hier werden die defensiven Verhaltensprogramme aktiviert. So werden körperliche Angstreaktionen ausgelöst. Dank dieser thalamo-amygdalären Verbindung können Tier und Mensch blitzschnell auf eine Gefahr reagieren. Auch der Hirnstamm und die Großhirnrinde werden informiert. Der Hirnstamm löst automatische Verhaltensreaktionen aus, die von einem Erstarren über Flucht bis zum Angriff reichen können. Die Großhirnrinde ist verantwortlich für das emotionale Erleben der Angst.

Von der Angst zur Störung

Angst antizipiert nicht irgendeine, sondern eine nicht leicht zu vermeidende Bedrohung des Handlungsvermögens. Ernst E. Boesch empfiehlt, 3 Gruppen von Ängsten zu unterscheiden:

  • Die vorwiegend auf äußere Bedrohungen gerichtete Umweltangst
  • Die der Möglichkeit des eigenen Versagens geltende Bewährungsangst
  • Die objektfreie Grundangst, die oft auch als frei flottierende Angst bezeichnet wird und uns an anderer Stelle als Ängstlichkeit begegnet ist.

Die Wirklichkeit ist ad personam meist eine Melange der drei Formen, deren Zusammenspiel für die Diagnostik und ein therapeutisches Vorgehen sehr hilfreich sein kann.

Wenn die Lösung zum Problem werden kann

Für den Umgang mit unserem Fühlen, Denken und Handeln haben wir ein ganzes Arsenal von Reaktions- und Handlungsweisen. Wenn es problematisch wird, redet man gern von Coping-Strategien. (Nicht nur) bei Ängsten ist der Werkzeugkoffer sehr groß und elaboriert; auf dem Koffer steht: Abwehrmechanismen.

  • Verdrängung ist das eher unbewußte, von negativen Emotionen angestoßene Vergessen von Gedächtnisinhalten. Gilt als der „einfachste“ Abwehrmechanismus.
  • Unterdrückung ist ein bewußter, willentlicher Ausschluß eines Denkens und/oder Handelns; eine aktive Verdrängung, ein selbst auferlegtes Gebot/Verbot.
  • Verneinung behauptet den genau falschen Sachverhalt dessen, was man als richtig weiß.
  • Reaktionsbildung ersetzt gelebte und empfundene Einstellungen und Gefühle durch deren Gegenteil. Verneinung und Reaktionsbildung kommen besonders häufig bei Menschen mit einer Zwangsstruktur vor.
  • Autoaggression versucht, das soziale Umfeld mit anderen möglichst aggressionsfrei zu halten, geben sich auch gern als leuchtendes Vorbild der Harmoniefähigkeit; haben häufig nicht gelernt, aggressive Impulse in einer sozialadäquaten Weise manifest werden zu lassen.
  • Verschiebung transportiert Ängste, Fantasien und Impulse von der Person, der sie gelten auf eine andere, um die ursprünglich gemeinte Person unberührt zu lassen.
  • Identifikation mit dem Angreifer ist ein radikaler Seitenwechsel in der Hoffnung auf das Überleben. Die radikale Umwertung des Beziehungserlebens mit dem Aggressor ist das Stockholm-Syndrom.
  • Leugnung ist eine selektive Störung der Wahrnehmung als Veränderung/Ausblendung eines Bedeutungszusammenhangs:“ wo ist hier eine Bedrohung?“ Es gibt keinen! Faktenzugang.
  • Rumination ist eine Art von emotionalem und/oder gedanklichen „Wiederkäuen“ in der Hoffnung, durch das Verdauen Angst und Triebabfuhr zu bewältigen.
  • Projektion verlagert eigene psychische Inhalte und Ängste auf andere Personen in der Hoffnung, durch die Externalisierung leichter und besser mit Angst und Konflikt umgehen zu können. Häufig macht ein projektiv Identifizierender den Anderen einem eigenen inneren Bild gleich.
  • Isolierung vom Affekt geschieht, wenn das, was man denkt, nicht unerträgliche Gefühle und Ängste hervorrufen soll. Das Gefühl wird separiert von seinem Kontext, um Angst und Konflikt zu vermeiden. Ähnlichkeit zu double-bind.
  • Rationalisierung findet statt, wenn nur die vernünftigen Motive gedacht, erwähnt und zugelassen werden (Leugnung auf rational)
  • Intellektualisierung ist der Versuch, sich über Abstraktion vom unmittelbaren Erleben zu entfernen, mit einer inneren Distanz auch eine äußere zu erreichen.
  • Vermeidung ist aus dem Felde gehen oder unterlassen, wenn Menschen um sich selbst oder um andere fürchten.
  • Gefühlsblockade ist ein emotionaler Totstellreflex oder die Extremform von Isolierung vom Effekt.
  • Regression ist das Bestreben, bei Angst und Gefahr ein früheres Funktionsniveau zu nutzen, emotionale Schutzräume der Vergangenheit aufzusuchen. Man sagt dann gern: back to the roots“

Störungen der Angst

All diese und andere Mechanismen sind „normal“ und Bestandteil einer psychologischen Balance, weil sie Konventionen des Umgangs mit sich selbst, mit anderen und mit der Welt sind. Pathologisch wird es dann, wenn die Anpassungsleistungen – aus diversen Gründen – ihre Wirkung verlieren, überstrapaziert werden (mehr vom gleichen), falsch eingesetzt werden oder durch Umwelteinflüsse und organische Erkrankungen überstimmt oder außer Kraft gesetzt werden und sich Störungen unseres Lebens und Erlebens herausbilden.

Einige „klassische“ Angststörungen* seien hier nochmals aufgeführt:

  • Panikattacken geschehen in einem abgrenzbaren Zeitraum, in dem starke Besorgnis, Angstgefühle oder Schrecken plötzlich einsetzen und häufig mit dem Gefühl drohenden Unheils einhergehen. Während dieser Attacken treten Symptome auf wie Kurzatmigkeit, Palpitationen, Brustschmerzen oder körperliches Unbehagen, Erstickungsgefühle und die Angst, verrückt zu werden oder die Kontrolle zu verlieren.
  • Agoraphobie ist die Angst vor oder das Vermeiden von Plätzen oder Situationen, in denen eine Flucht schwer möglich (oder peinlich) wäre, oder in denen im Falle einer Panikattacke oder panikartiger Symptome keine Hilfe zu erwarten wäre.
  • Spezifische Phobie ist eine klinisch bedeutsame Angst, die durch die Konfrontation mit einem bestimmten gefürchteten Objekt oder einer bestimmten Situation ausgelöst wird und häufig zu Vermeidungsverhalten führt.
  • Soziale Phobie bezeichnet eine klinisch bedeutsame Angst, die durch die Konfrontation mit bestimmten Arten sozialer oder Leistungssituationen ausgelöst wird und oft zu Vermeidungsverhalten führt.
  • Zwangsstörungen sind durch Zwangsgedanken (die zu deutlicher Angst und Unbehagen führen) und/oder Zwangshandlungen (die dazu dienen die Angst zu neutralisieren), gekennzeichnet.
  • Posttraumatische Belastungsstörung ist durch das Wiedererleben einer sehr traumatischen Erfahrung gekennzeichnet, die u.a. jegliche Reize vermeidet, die mit dem Trauma assoziiert sind oder sein könnten.
  • Akute Belastungsstörungen gleichen symptomatisch der PTBS und sind die direkte Folgewirkung eines extrem traumatischen Erlebens.
  • Generalisierte Angststörungen sind durch mindestens 6 Monate anhaltende ausgeprägte Angst und Besorgnis charakterisiert.

Tun und Unterlassen

Um zu helfen, Angst und Not zu lindern und das Leben wieder lebenswert zu machen; um Mut zu fassen und das Glas mehr als halbvoll zu sehen, gibt einen Werkzeugkasten, der ganze Bibliotheken füllt (und natürlich auch einen Medizinschrank, aber der ist hier nicht unser Thema).

Entscheidend aber sind (aus meiner Sicht) Prinzipien, Strategien und/oder ein roter (Ariadne) Faden im Zusammenwirken zwischen Klient und Therapeut:

Von der engen zur losen Kopplung

Charles Perrow hat schon 1984 in seiner Monographie „Normale Katastrophen“ die enge Kopplung als den Treiber unvermeidbarer Risiken ausgemacht. Eng gekoppelt meint eine Verbindung zwischen mindestens 2 Komponenten, die zwischen den beiden keinen Freiheitsgrad erlaubt: Deichsel, Schiene, Nabelschnur – notwendig, aber risikobehaftet, weil immer das eine das andere mit in die Turbulenzen, in das Scheitern hineinziehen kann. Phobien sind ein prototypischer Fall von enger Kopplung, wo eine Lösung des Problems durch Dekonditionierung, Exposition, Reframing erfolgreich sein kann. Heilung ist dann, wenn im Lebensentwurf präventiv die selbstbestimmte Freiheit und Bindung als lose Kopplung ermöglicht wird.

Beide auf der gleichen Seite

In jeder Anleitung für Ärzte, klinische Psychologen oder Psychotherapeuten wird die Bedeutsamkeit der Beziehung für den Therapieerfolg postuliert, was sich auch durch diverse Untersuchungen belegen läßt. Da sollen Empathie und Achtsamkeit zum Tragen kommen – gut und richtig. Der Klient sollte nicht nur Zuwendung und Wirksamkeit sondern auch fall- und themenbezogenes Wissen erfahren, um nicht nur sich sondern auch den therapeutischen Prozeß zu verstehen. Wissen schafft Zukunft, heißt es allenthalben; Pilot und Co-Pilot fliegen zum gemeinsamen Ziel.

Führung der eigenen Person

Achtsamkeit und Resilienz sind ein schöner Beipack für das Lebensgeschirr und zieren jedes Angebot für ein erfülltes Leben. Aber sie laufen ins Leere oder segeln auf der Esoterik-Schiene, wenn nicht die Perspektiven entwickelt, die Kräfte gebündelt, die Präferenzen sortiert, die Ressourcen verstanden, die Beziehungen geordnet und die Ruhezonen geregelt sind. Ein therapeutisches Ziel ohne den Rekurs auf die Fähigkeit und Fertigkeit zur Führung der eigenen Person ist nur eine Etappe auf dem Weg zum Ziel.

Von der Störung zur Genesung oder was kann man (ich) tun

Eine psychotherapeutische Intervention sollte (idealiter) nicht einem Schema folgen, sondern mit unterschiedlichen Perspektiven und Grundannahmen arbeiten, die auch und vor allem von der Rezeptionsfähigkeit des Klienten bestimmt sind. Entscheidend ist, womit er am besten erreicht werden kann. Die 3 folgenden Methodiken sind prototypisch für ein Arbeiten mit und gegen die Angst, meist angewendet in personen- und problemspezifischer Kombination.

Zu den Klassikern der Angsttherapie gehört die

Exposition

Sich einer Exposition zu unterziehen, bedeutet im Wesentlichen, sich dem Angst auslösenden Reiz oder der Angst auslösenden Situation gezielt auszusetzen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass eine Angstreaktion etwas Erlerntes sei – und entsprechend auch wieder „verlernt“ werden könne. Oft heißt es, die angstbesetzte Reaktion würde „gelöscht“.

Verlernen heißt in diesem Fall, dass die alte Angstreaktion durch eine neue, nicht angstbesetzte Verbindung im Gehirn gehemmt wird. Denn wenn das erwartete negative Ereignis wiederholt nicht eintritt, macht der Betroffene in der Regel die Erfahrung, dass die Angst mit der Zeit nachläßt anstatt wie befürchtet ins Unermeßliche zu steigen oder in einer Ohnmacht zu enden.

Eine Exposition im Sinne einer gezielt dosierten Konfrontation mit den Angst auslösenden Reizen kann (bei Phobien) dann erfolgreich sein, wenn das Vertrauen in das therapeutische Setting so groß und der Leidensdruck so stark sind, dass der Mut zur Exposition die Angst vor der Situation überwinden kann.

Rational-emotive Verhaltenstherapie (REVT)

„Meine Gedanken machen mich krank“ ist die diagnostische Grundannahme dieser kognitiven Verhaltenstherapie, die von Albert Ellis entwickelt wurde. Ein äußeres oder innerpsychisches Ereignis (A) löst eine Reaktion und Deutung aus, die durch persönliche Überzeugungen; Erfahrungen, Wertesysteme bestimmt ist (B für Beliefs oder Bedeutungen). Diese Bewertungen können logisch und empirisch belegbar sowie situationsangemessen, also rational sein, oder unlogisch und empirisch nicht belegbar sowie situationsunangemessen, also irrational sein. Entscheidend ist, daß diese Bewertungen die dann folgenden emotionalen Reaktionen und Verhaltensweisen bestimmen (C für Consequences). Im therapeutischen Prozeß werden die irrationalen Denkweisen aus B aufgearbeitet durch Hinterfragen der Bezugssysteme (reframing) und Aufdecken der irrationalen Fixierungen. In dieser Disputation (D) wird nicht nur mit sokratischem Dialog sondern auch mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, Simulationen und Inszenierungen gearbeitet, um den therapeutischen Effekt (E) zu erzielen.

Schlüssel zum Verständnis der (angst-) treibenden psychischen Störungen sind nach Ellis die vier irrationalen Überzeugungsmuster und deren Ein- und Auswirkung auf die Deutung

  • Absolute Forderungen: Wünsche werden zu absoluten Forderungen („ich muß …“, „die anderen müssen …“); alternativlos
  • Globale negative Selbst- und Fremdbewertungen: statt einzelner Eigenschaften, wird die ganze Person oder Sache als minderwertig bewertet („ich bin wertlos/ein Versager …“, „der/das andere taugt nichts …“);
  • Katastrophieren: negative Ereignisse werden überbewertet („es wäre absolut schrecklich, wenn …“); wenn die Maus zum Elefanten wird
  • Niedrige Frustrationstoleranz: Glaube, negative Ereignisse nicht aushalten zu können („ich könnte es nicht ertragen, wenn …“).

Die gilt es zu erkennen und neu zu bewerten; Fühlen und Denken als Ordnen des Tuns.

Ein völlig anderer Zugang zu Angst und Ängsten ist die psychoanalytische Perspektive, wie sie bei Irvin D. Yalom und Viktor E. Frankl (wenn auch mit deutlichen Unterschieden) zu finden ist. Beiden gemeinsam ist die Nähe ebenso wie die deutliche Abgrenzung zum seelsorgerischen Ansatz.

Existentielle Psychotherapie nach Irvin D. Yalom

Irvin D. Yalom (geb. 1931) gilt als der bekannteste existentielle Psychotherapeut. Er war nach seiner psychiatrischen Ausbildung an der Johns-Hopkins-Universität als Psychiater tätig. Im Rahmen psychotherapeutischer Tätigkeit in Gruppentherapie bei terminal erkrankten Patienten wurde er schon früh in seiner Laufbahn mit existentiellen Themen konfrontiert. Unter anderem machte er sich darum verdient, über die Grenzen seiner eigenen Profession hinaus auf sozialwissenschaftliche, religiöse und vor allem philosophische Gedanken zurückzugreifen, um der existentiellen Situation des Menschen gerecht zu werden. Neben seinen wesentlichen Werken „Existentielle Psychotherapie“ sowie „Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie“ verfaßte er mehrere populäre Romane mit therapeutischen Fallbeispielen, wie z.B. „In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet“,  „Unzertrennlich“, „Die Schopenhauer Kur“, „Und Nietzsche weinte“. In seiner Arbeit bezieht er sich sowohl auf die bekannten Psychiater und Psychologen seiner Zeit: Pinel, Freud, Jung, Pawlow, Rorschach und Skinner als auch auf philosophische Denker. Vor allem in seinem Ausführungen zum Tod benennt er klassische griechische Philosophen, insbesondere Epikur und bezeichnet diesen als „proto-existentiellen Psychotherapeuten“. Von ihm übernimmt er den Gedanken, dass unsere allgegenwärtige Furcht vor dem Tod die Grundwurzel des menschlichen Elends sei.

Yalom definiert seine Psychotherapie wie folgt: „Existentielle Psychotherapie ist ein dynamischer Zugang zur Therapie, der sich auf die Gegebenheiten konzentriert, welche in der Existenz des Individuums verwurzelt sind“. Diese existentiellen Gegebenheiten sind für ihn:

  • Tod • Freiheit • Isolation • Sinnlosigkeit.

Er stellt existentielle Angst als Symptom und Reaktion fehlangepaßter Antworten auf diese vier letzten Dinge dar, der Tod steht im Mittelpunkt seines therapeutischen Interesses. „Die Freiheit hilft uns, Annahmen über Verantwortlichkeit, das Einlassen auf Wandel, Entscheidung und Handlung zu verstehen“ und hat somit das Potential zur Überforderung von Lebensentwürfen. „Isolation beleuchtet die Rolle der Beziehung“ und wie wir mit Abgrenzungen umgehen. „Sinnlosigkeit richtet unsere Aufmerksamkeit auf das Prinzip des Engagements “, wir fragen nach dem wofür, warum, weshalb.

Nach Yalom sind zwanghafter Heroismus, Workaholismus, Narzißmus, Aggression und Kontrollsucht, Erfolgsneurose, Depression, Selbstverneinung, Furcht vor Liebesentzug, Abhängigkeit, Sex-Sucht, Masochismus, zwanghaftes Strebertum, grandiose Tendenzen und mangelnder sozialer Bezug die Folgen hartnäckiger Verleugnung und Verdrängung der Angst vor dem Tod.

„Ohne Angst kann man weder das Leben leben, noch sich dem Tod stellen. Angst ist sowohl ein Führer wie ein Feind und kann den Weg zur authentischen Existenz weisen. Die Aufgabe des Therapeuten ist es, die Angst auf ein akzeptables Maß zu reduzieren und dann diese existierende Angst zu benutzen, um die Bewußtheit und Lebenskraft des Patienten zu erhöhen“ (Yalom, Existentielle Psychotherapie 2010).

Literaturempfehlungen:

  • Heinz Werner Krone, Psychologie der Angst, 2010, Kohlhammer
  • Ernst E. Boesch, Psychopathologie des Alltags, 1976, Huber
  • Paul Tillich, der Mut zum Sein, 2015, De Gruyter
  • Karl König, Abwehrmechanismen, 1997, Vandenhoeck & Ruprecht
  • Michael Schödlbauer, Wahnbegegnungen, 2016, Psychiatrie Verlag

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