Aufstand der Geschichten heißt ein Festival, das vom 3.-11. November 2018 in Chemnitz stattfand. Die Initiatoren haben sich zum Ziel gesetzt, dem Ende der Geschichte /Fukuyama) einen Aufstand der Geschichten entgegenzusetzen   https://programm-nun.de/ und uns mit neuen unentdeckten Geschichten zu konfrontieren. Der Soziologe Armin Nassehi hielt den Festvortrag. Nach seinen Worten ist „das Konzept des Festivals sehr gelungen. Klug am Konzept ist die Erfahrung, dass es eher Erzählungen als bloße Informationen sind, eher Erzählbarkeit als Erklärbarkeit, die die Positionen von Menschen ausmachen“.

Alle Welt will uns Geschichten erzählen. Politik, Werbung, Marketing folgen der Hybris des Storytelling; Medien und Unterhaltungsindustrie attackieren uns mit immer neuen Narrativen (ein nur noch Überdruss produzierender Begriff für angeblich sinnstiftende Erzählungen, Uwe Pörksen würde dies sicher als Plastikwort bezeichnen). Geschichten sind das Herz (nicht nur) oraler Kulturen und der Geschichtenerzähler ist das Herz des Stammes, des Kollektivs. Er pumpt Geschichten in das Kreislaufsystem des sozialen Organismus und hält sie dort am Zirkulieren. Seine Geschichten geben den Zuhörern die beruhigende Gewissheit darüber, wer sie sind und rufen ihnen in Erinnerung, woran sie glauben. So erwächst aus ihnen der Zusammenhalt der Gemeinschaft. Im Netz seiner Geschichten fängt der Erzähler alles ein: die Kunde vom vergangenen Geschehen, von Wahrheit, Heldentum, Religion, Philosophie, Moral und Liebe. Der Erzähler war der Mensch, der den Hörern Rat wusste. Rat, der in den Stoff gelebten Lebens eingewebt war und den wir vielleicht heute als Weisheit bezeichnen würden.

Psychologen haben sich intensiv mit dem Stellenwert von Erzählen und Erzählkunst auseinandergesetzt und, wie unter anderem der amerikanische Psychologe Jérôme Bruner, geglaubt, ableiten zu können, dass Erzählen können und Selbstbewusstsein in engem Zusammenhang miteinander stehen. Für Bruner wie auch für andere Sozialwissenschaftler heißt Leben, den Faden der Ereignisse zu einem verschlungenen Erzählmuster der Lebensgeschichte oder Biographie verweben zu können. Erwing Goffman, ein Pionier der Alltagssoziologie, hat uns mit seinem „wir alle spielen Theater“ eindrücklich nahegelegt, wie sehr wir den Mythen und Metaphern des Alltags geneigt sind. Therapeutische Selbsthilfegruppen, wie zum Beispiel die anonymen Alkoholiker, nutzen solche Erzählphasen im Rahmen von Gruppensitzungen dazu, Menschen aus Isolationen und destruktiven Lebensmustern heraus in eine gesündere Lebensform hinein zu lotsen. Menschen, die füreinander in jeder sonstigen Beziehung Fremde bleiben, treten vor und berichten aus ihrem Leben in dem Bemühen, die universellen Wahrheiten aufzudecken, die jene Betroffenen, seien es Alkoholiker oder Drogenkonsumenten oder Medikamentenabhängige, miteinander verbinden. Der Vorgang verwandelt isolierte Einzelne in Stammesmitglieder beziehungsweise in Mitglieder einer kleinen Gemeinschaft – eine heilsame Wandlung. Hier werden Elemente der oralen Kultur „ausgebeutet“, wenn in formelhaften Wendungen, Wiederholungen, Schwüren, deklarativen Sätzen und Mythen versucht wird, ein neues Korsett für die Lebensgeschichte zu zimmern.

Geschichten sind voll von formelhaften Wendungen, die uns Sicherheit vermitteln, uns vertraut machen und uns dabei helfen, bestimmte Botschaften einzuüben. Diese Erzählformeln schaffen Vertrautheit; es sind die gleichen Konstruktionsmerkmale wie in anderen Formen der Kunst. Der Refrain im Lied ist nichts anderes als eine stabil wiederholte Erzählform. Der Komponist arbeitet an den Variationen um ein Thema, ob es nun das B-AC-H der Brandenburgischen Konzerte von Bach ist oder ob wir es in den Formaten im Fernsehen wiederfinden.
Rudi Keller hat als ein wesentliches Entwicklungsmerkmal der Kultur festgehalten, dass in einer Kultur neuerworbenes Wissen ständig wiederholt werden muss, wenn es nicht verloren gehen soll. Ohne feststehende formelhafte Denkstrukturen gibt es keine Weisheit und keine leistungsfähige Verwaltung. Geschichten, seien sie nun mündlich erzählt oder schriftlich festgehalten, vereinen alle in der Gemeinschaft eines geteilten Wissens. Und der Fremde bleibt fremd, wenn er nicht an diesen Geschichten teilhaben will oder kann.

In der Tradition des Erzählens ist Wissen keine individuelle Erfahrung, sondern ein soziales Phänomen, daher kann auch niemals einer gescheiter als ein anderer befunden werden. Mythen und Geschichten und Gedichte für das Kollektiv, Märchen und Geschichten für die Kleinen, so beginnt sich Wissen als Bewusstsein unter allen auszubreiten, als Wissen, zu dem man mit den anderen zusammengekommen ist. So können wir nachvollziehen, dass Erzählen quasi die Grundform aller Mitteilungen ist, dass Erzählen als ein Medium für jedermann, ob mit oder ohne Schulung, zur Verfügung steht. Dabei kann man sich die historische Entwicklung des Verhältnisses von mündlichem zu schriftlichem Erzählen in Schriftkulturen sehr vereinfacht so vorstellen, dass das mündliche Erzählen dem schriftlichen anfangs oft die entscheidenden Impulse gab, sich aber das literarische Erzählen im Laufe der Zeit zunehmend vom Alltagserzählen ablöste. In diesem Prozess strebte das literarische Erzählen eine intensivere und systematischere Nutzung der Sprache und ihrer Möglichkeiten an, bildete neue Gattungen des Erzählens aus, ließ sich durch Werke anderer Literaturen anregen, bezog sich bewusst und gegebenenfalls kritisch auf literarische Tradition und geriet in eine Abhängigkeit des Marktes der literarischen sowie gesellschaftlichen Entwicklung.
Im Zuge der Professionalisierung spezialisierte es sich weiter, wandte sich an verschiedene Publikumsgruppen und produziert heutzutage, um nur die Extreme zu nennen, einerseits eine stark konventionalisierte Konsumliteratur, andererseits eine geduldige (unter Umständen mehrmaliges Lesen verlangende interpretationsbedürftige) Erzählkunst. Was macht den Erfolg von Netflix aus, was hat vor 20 Jahren HBO vor der Insolvenz gerettet? – das Erzählen von Geschichten. Werner T. Fuchs glaubt zu wissen, warum das Gehirn Geschichten liebt: “Menschen sind Erfolgsmodelle der Evolution, weil sie über ein Gedächtnis verfügen, das Musterfolgen speichert, Muster assoziativ abruft Muster als unveränderbare Repräsentationen speichert und Muster hierarchisch ordnet…Es gehört zu den Geniestreichen der Evolution, Informationen in Form von Geschichten zu verarbeiten, zu speichern und wiederzugeben.“

So ist das Geschichtenerzählen vor allem im nordamerikanischen Sprachraum eine Bewegung geworden, in der Storytelling und seine in der Zwischenzeit unzähligen Geschichtenerzähl-Wettbewerbe zu einem wesentlichen Promotor der amerikanischen Kultur und Bildungsförderung mutiert sind. Wichtige Promotoren wie Steven Spielberg (der seine Firma bezeichnenderweise DreamWorks genannt hat) oder Bran Ferren (unter anderem Chefkreativer und -entwickler von Disney) sehen in Storytelling ein Heilmittel gegen die Abstumpfung, Verdummung und Entmoralisierung durch den rein elektronischen Medienkonsum. Bran Ferren und Steven Spielberg rekurrieren auf die Gesetzmäßigkeit von Storytelling als Geschichten, deren Grundzüge man kennt und deren Ende man herbeiwünscht.
In Europa hat sich vor allem Österreich beim Storytelling hervorgetan: „Seit seinen Anfängen im Jahr 1988 hat sich das Festival zu einem der weltweit bedeutendsten, Europas größtem und Österreichs einzigem Erzählkunstfestival entwickelt. Neben klassischen Erzählern und Erzählerinnen aus aller Welt begeistern auch ungewöhnliche Formen des Storytellings wie Pantomime, Tanz, Figurentheater oder Clownerie das Publikum. Was Sie hier erwartet, ist kein Bühnenspektakel, keine aufwendige Technik oder Regie, sondern EIN einzelner Mensch, der nichts tut als… ERZÄHLEN.“ Sagt stolz das Internationale Storytelling Festival, das einmal im Jahr, meist Mitte/Ende Mai an mehreren Standorten in Österreich eine Woche aufspielt.
Barry Sanders hat 1994 mit seinem Buch ‘the collaps of literacy and the rise of violence in an electronic age’ versucht zu belegen, dass die Idee des kritischen, innengeleiteten Menschen als eine für uns selbstverständliche Grundlage unseres Menschseins sich nur im Schmelztiegel des Lesens und Schreibens bildet. Ob Bran Ferren, Steven Spielberg und Barry Sanders das Gleiche meinen, wenn sie sich vor den Karren des Storytelling spannen, sei noch dahingestellt, aber: Bran Ferren ist der Überzeugung, dass der Erfolg der Disney-Charakters sich nur und ausschließlich ableiten lässt aus der Tatsache, dass sie eine Gestalt angenommen haben, um die herum Geschichten jeweils mit einer Variationsbreite erzählt werden können, deren Geschehen neu und trotzdem zum Charakter passend und vertraut ist und vom Plot oder Ende her vorbestimmt sei. Und Steven Spielberg berichtet, dass er eine der traditionellen Formen des Storytelling seit vielen Jahren im Kollegen-, Freundes- und Familienkreis praktiziert: Ein Thema wird aufgeworfen und reihum werden nun fortschreitend Teile zu einer Geschichte erzählt, deren roter Faden sich durch praktizierte Anschlusskommunikation entwickelt.

Wenn wir in uns und um uns herum schauen, werden wir entdecken, dass das Erzählen eigengelebter Geschichten in der direkten Interaktion mit Zuhörern ein menschliches Grundbedürfnis zu sein scheint, das wohl unter anderem daran liegt, dass durch das Erzählen kognitive Bedürfnisse der Erfahrungsbewältigung und soziale Bedürfnisse des Austausches mit anderen gleichzeitig erfüllt werden. Das alltägliche Erzählen ist eine von allen Menschen (offenbar gerne) ausgeübte Tätigkeit. Jeder oder fast jeder erzählt Geschichten in fast jeder beliebigen Unterhaltung. Wenn dem so ist, sollten auch Zeitungen und Zeitschriften immer darauf achten, dass sie etwas zu erzählen haben – denn Menschen erzählen gerne und lassen sich gerne erzählen. Anders als das nüchterne, rein sachliche und scheinbar objektive Berichten oder Beschreiben ist das Erzählen eine Kommunikationsform, die von jedermann tagtäglich genutzt wird und die scheinbar bestimmten menschlichen Bedürfnissen entgegenkommt.

Fasst man bestimmte Zielgruppen ins Auge, so kann man auch die These formulieren, dass sich mit einem auf die Erzählgewohnheiten bestimmter Gruppen abgestimmten Erzählstil mehr Lebensnähe oder auch Glaubwürdigkeit erreichen lässt, ohne dass dies zu Lasten der Themenauswahl gehen müsste – die Erfolge oder Misserfolge von Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehformaten belegen, dass es schichtspezifische Erzählcharakteristika gibt und dass bestimmte Formen von Erzählen als Verarbeitungs-, Entlastungs- und Problembewältigungsmittel fungieren, sei es bei den anonymen Alkoholikern oder in den verschiedensten Formen der Psychotherapie. Erzählen hat also auch eine therapeutische Wirkung. Dies dürfte zu einem großen Teil allein schon von der Entlastung ausgehen, die sich ergibt, wenn ein Erlebnis oder Ereignis, das einen inneren Spannungszustand verursachte (zum Beispiel starke emotionale Erschütterungen, Gefahr, Schock, Wut), verbalisiert wird und durch die Spannung (wie beim Öffnen eines Ventils) plötzlich abgebaut werden kann (‘Ich musste das unbedingt einmal loswerden!’). Dies ist wohl einer der bedeutenden Treiber des Erfolges sozialer Medien: ein Publikum zu finden für „Dinge“, die man unbedingt loswerden will – eine Art von Bewältigungstechnik, wie sie ja auch therapeutisch verwandt werden kann.

Die sozialen Funktionen des Erzählens, wie sie einmal konstitutiv waren, gelten auch noch heute. Das Erzählen von Geschichten hat eine soziale Funktion, weil es:
• Geschichte, Tradition und Religion überliefert und damit gleichzeitig an der Schaffung einer Gemeinschaftsidentität arbeitet,
•die Ordnung von Natur und Welt und deren Entstehung erklärt,

• die Gesellschaftsordnung einer Gemeinschaft begründet,
• die Regeln und Erfordernisse des Zusammenlebens vermittelt,
• Bestandteil des alltäglichen Gemeinschaftslebens ist, Unterhaltung und Zeitvertreib bietet,
• Kinder belehrt und erzieht,
•Vorbildfunktionen vermittelt und modellrichtiges, mutiges, ehrenhaftes Verhalten liefert,
• ethische und moralische Normen skizziert, Tabus und Regeln und den Umgang mit höheren Gewalten erklärt, praktische Erfordernisse im Umgang mit dem Alltag nahelegt und
• manchmal auch als Einschlafmittel für sich selbst und für andere dient.

Der zentrale Punkt beim Erzählen scheint jedoch die Mischung von Informationen und Unterhaltung zu sein, die im Erzählen quasi wesensmäßig angelegt ist. Es gehört zum Erzählen, dass man Wissenswertes praktisch nebenbei erfährt und umso sicherer behält. Und vielleicht liegt gerade hier der Grund, dass traditionelle Gesellschaften alle lebenswichtigen Informationen in Geschichten und Märchen verpacken. Im Übrigen scheint die Funktionsweise von Eselsbrücken auf einem ähnlichen Prinzip zu beruhen: Man transformiert abstrakte Informationen in eine lebendige, lebensnahe Form von Beispielen, die besser im Gedächtnis haften bleiben. In dieser Reichweite und Kraft, die im Geschichtenerzählen liegt, steckt natürlich auch das Gefährdungspotential, und es ist nicht von ungefähr, dass alle großen Verführer dieser Welt ihre Heilslehren in Geschichten verpackt haben, die Völker und Generationen ins Unglück stürzten.

Wenn wir hier eher Kierkegaards Rat folgen wollen, dann sind wir beim Satanischen, denn für ihn war Massenkommunikation per se des Teufels. Kierkegaard erinnert an die Sorgfalt in der Mitteilung, nämlich den Empfänger zu bedenken und auf die Form der Mitteilung hinsichtlich des Missverstehens des Empfängers zu achten. Für ihn ist der Odysseus der neuen Medienwelt, der Journalist, gleichzeitig auch ein Spion. Und auch der zweite Unzeitgemäße, der moderne Friedrich Nietzsche, hat seine Philosophie als die Gegenlehre alles Journalistischen lehren wollen. Für Nietzsche verkörpert Massenkommunikation die Dekadenz der modernen Welt, ihren Taumel von Hass und Plötzlichkeit im verruchten Wesen des Journalisten, des Sklaven der 3 M’s: des Moments, der Meinungen und der Moden. Ob Facebook ihn sprachlos gemacht hätte?

Dieser Blickwinkel bestimmt letztlich die Beurteilung der Massenkommunikation des 20. Jahrhunderts: Die Romantik ist vorbei, Kommunikationsutopien sind ausgeträumt, das Leben hat an Mitteilbarkeit verloren, es lässt sich nicht mehr erzählen? Die Mitteilung nimmt den Aggregatzustand von Informationen an, die Rhetorik wird zur Reklame. Hermann Ammann fragt schon 1925, wer denn aus der Zeitung heraus eigentlich zu uns (zu wem?) spricht. Und 2 Jahre später gibt Martin Heidegger die Antwort, dass man eigentlich nur noch mit sich selbst spricht. Den in sich selbst mündenden Datenfluss von Information, Meinung und Werbung nennt er das Gerede.
Dies wird dann noch getoppt von Adorno, der uns 30 Jahre später lehrt, dass er aus jedem Besuch des Kinos bei aller Wachsamkeit dümmer und schlechter herauskomme und dass in jedem Zufallsgespräch der Verrat lauere, also uns nur noch die Antikommunikation übrig bleibe. Doch bekanntlich war der Aufruf zur großen Kommunikationsverweigerung ein Kommunikationsereignis ersten Ranges und die Kritik des Jargons rasch zum hartnäckigsten Jargon erstarrt. Wir haben dann von Watzlawick gelernt, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Bei Niklas Luhmann schließlich wird die ganze Gesellschaft zu einem Kommunikationssystem, und die sprachliche Mitteilung ist demnach nur ein Tauschspiel mit dem Anderen, einem Geldwechsel nicht unähnlich.

Content Marketing heißt seit einigen Jahren das Zauberwort, mit dem man uns mit dem Vehikel des Geschichtenerzählens unsere Wünsche und Wahrheiten unterjubeln will; Marie Lampert und Rolf Wespe haben dazu eine passende Gebrauchsanweisung geschrieben; Zielgruppe Journalisten, PR-,Werbe- und Marketingleute. Die sublime Variante ist das Nudging vor allem der politisch Handelnden, die ihren libertären Paternalismus uns als Vor- und Fürsorge verkaufen wollen.
Dennoch oder gerade deswegen hat die Kunst des Erzählens ihre Bedeutung und Wirksamkeit beibehalten, gibt es doch Viele, die uns viel erzählen wollen aber nur Wenige, die uns wirklich nachhaltig und nicht nur temporär erreichen. Sicher sind Harry Potter, Alice im Wunderland und der Herr der Ringe auch ein Marketingprodukt und sie haben die gleichen oder ähnlichen Wesensmerkmale wie Kommissar Wallander von Henning Mankell. Umberto Eco hat in einem wunderbaren Essay die Konstruktionswerkzeuge von Ian Fleming und die 8 Bausteine der James Bond Dramaturgie beschrieben, die heute zur Grundausstattung jedes Serienschreibers gehören. Vieles bleibt dennoch vergessbare Normalkost oder um es mit Goethe zu sagen: hab‘ alle Dinge in der Hand, fehlt mir nur das geist’ge Band“.
Am Ende geht es dann doch auch um die ‘Lall und Dall-Kommunikation’ (wie Norbert Bolz es nennt) und die ‘Liebling, ich bin gerade gelandet’ Mitteilung, die wenig Sinn, aber viel Beziehung vermittelt, ein- oder ausschließt, Nähe herstellt oder Distanz belässt und eben einen Teil jener Konstruktionsmerkmale beinhaltet, die mit der Bindungsleistung von Geschichtenerzählen und Erzählen überhaupt zu tun hat.
Oder es geschieht das, was der eingangs erwähnte Armin Nassehi aus seinem Besuch in Chemnitz mitnimmt und sehr nachvollziehbar in seinem Montagsblock/69 beschreibt    https://kursbuch.online/montagsblock-69/  wo Menschen aus Chemnitz den Erzählungen anderer ihre eigenen entgegenstellen, auch weil sie intuitiv die Erfahrung gemacht haben, dass man Informationen nicht mit Gegeninformationen ausschalten kann. Also erzählen sie ihre Geschichten, das Eigene gegen das Fremde, „sie wählen den Mythos statt Logos, Erzählung statt rationaler Erklärung, Geschichten statt bloßer Information“. Und Armin Nassehi zitiert auch den Teilnehmer einer Diskussion, der (sinngemäß) sagte, „viel schlimmer als die Abwicklung der ehemaligen DDR Wirtschaft und der ökonomische und erwerbbiografische Kahlschlag, als den das viele erlebt haben, sei der Abbruch der Sagbarkeit des eigenen Lebens gewesen“. Geschichten und Identität – ein immer wieder unterschätzter Zusammenhang.