Die Chancen des Scheiterns heißt ein Buch von Dietrich Dörner, das auch für den psychologischen Laien eindrucksvoll beschreibt, was in spezifischen Konstellationen, sei es der persönliche, der organisatorische oder der politische Raum, alles schief gehen kann – aber nicht muss. Wir haben seine Ausführungen als Blaupause genommen.

Man kann, bei der Summe möglicher Fehler, in Handlungsstarre verfallen oder im Wissen um die kognitiven Fehltritte der Devise folgen, dass Denken ein Ordnen des Tuns ist und hinter jeder Denkgewohnheit eine Chance und ein Risiko steckt. Die vielfältigen Fehlermöglichkeiten des Denk- und Problemlöseverhaltens zeigt der folgende Risikoatlas:

Ein klassischer Handlungsfehler beim Problemlösen ist das Reparaturdienst-Ver­halten, bei dem mal hier und mal dort an einer Sache herumgeflickt wird, meist begleitet von unklaren oder fehlenden Zielvorstellungen. Repariert wird gerne an Themen oder Problemen, die sinnfällig zu sein scheinen oder für die man sich kompetent fühlt.

Ähnlich gelagert ist das Durchwursteln, im englischen Sprachgebrauch als muddling through bekannt. Dabei werden eher die dringlichen, aber meist unwichtigeren Probleme gelöst und das, was eigentlich wichtig ist, bleibt liegen. Durchwursteln ist eine Überlebensstrategie, wenn man weder Ziele hat noch Umfeldtransparenz schaffen kann. Ansonsten ist es nur ressourcenschonend und contraproduktiv für jede Art von Gruppenarbeit.

Bei der Einkapselung ist das Große, die Gesamtschau aus den Augen verloren worden. Vielmehr beißt man sich an einem kleinen, überschaubaren Ausschnitt eines Problembereiches fest, der dann mit aller Entschiedenheit bearbeitet wird. Dahinter steht häufig auch eine Unsicherheit, die nur noch die Beschäftigung mit Klein- oder Teilproblemen zulässt. Wird gern auch mit Fokussierung verklärt.

Eine ganz besondere, vor allem auch im politischen Bereich häufig auftauchende Variante ist die Zielinversion. Hier werden plötzlich auftretende, unerwartete oder auch negative Ereignisse und Konsequenzen zum Anlass genommen, Zielvorstellungen umzudefinieren und etwas möglicherweise ursprünglich Ungewünschtes zum Positiven umzuwidmen.

Eine weitere, vor allem in der Politik prominente Variante des Problemlösens ist das Sündenbock-Modell. Hier wird eine einzige zentrale Ursache für alle Probleme aufgebaut, mögliche Abhängigkeiten werden ignoriert. Es wird eine Reduktion auf eine einzige Variable hergestellt und gerne dann auch als big point bezeichnet. Jede weitere Informationssuche und Planung wird eingestellt. Von der Sündenbock-Variante zur Verschwörungstheorie ist dann nur noch ein kleiner Schritt.

Hier schließt dann das magische Denken an. Die herkömmlichen Regeln von Ursache und Wirkung werden ignoriert und spezifischen Lösungsmustern, die keinen Lösungszusammenhang haben, wird problemlösende Wirkung zugeschrieben. Wir kennen dies als archaisches Denken der kindlichen Entwicklungsphase zwischen 2-5 Jahren, hat aber auch, begleitet von Egozentrismus, bei Erwachsenen Bestand.

Ein echter Zungenbrecher ist die immunisierende Marginalkonditionierung, bei der ein Problemlöser schlicht und ergreifend davon ausgeht, dass sein Modell das nach wie vor und grundsätzlich absolut richtige und passende ist. Dass in der Realität dann das eine oder andere komplett anders geschieht als geplant oder vorher gesagt, das liegt an den ganz spezifischen Bedingungen genau jener Wirklichkeit, für die man im Übrigen keine Verantwortung trage, die auch nur in diesem einen Fall auftreten konnten und deswegen zu Fehlern geführt haben. In jeder anderen Situation wäre das Verhalten, die gewählte Problemlösung richtig gewesen, „denn das Modell ist richtig!“

Ein Fehler ganz besonderer Art ist die Übergeneralisierung, bei der man schnell vom Einzelfall auf das Ganze hochrechnet. Dieses pars pro toto geht häufig einher mit einer deutlichen Ungeduld, schnell zum Ziel kommen zu wollen (jumping to conclusions) und ist auch eine beliebte Argumentationsstrategie, um eine eigentlich schon entschiedene Meinung oder Vorgehensweise „einmalig“ zu unterfüttern.

Sehr ähnlich, wenn auch aus anderen Gegebenheiten gespeist, ist die Momentanfalle. So spielen bei der Prognose zukünftiger Zustände gerade jene Aspekte der Gegenwart eine zentrale Rolle, die augenblicklich sehr ärgern, sehr bestürzen oder sehr erfreuen. Ein akut sinnfälliger Trend wird linear oder gar progressiv fortgeschrieben. „Wir steuern auf Sicht“ heißt dann die Verklärung des Handelns.

Demgegenüber steht ein innerer Trend, der sich an einer „es wird schon gut gehen-Haltung“ festmachen lässt. Wishful thinking nimmt den Wunsch eines bestimmten zu erzielenden Ergebnisses als den wesentlichen Treiber einer Problemlösung. Alle Aktivitäten werden dann auf dieses Wunschergebnis ausgerichtet und die Strategie heißt „hoffentlich klappt’s“.

Eine der klassischen Fehlerquellen, die gerade in der Komplexitätsforschung sehr schön und ordentlich herausgearbeitet wurden, sind das Nichtberücksichtigen von Neben- und Fernwirkungen. Vernetzungen zu erkennen und sie prognostisch einigermaßen richtig einzuschätzen ist eine große kognitive Herausforderung; aber im Regelfalle jenseits dessen, wie wir gewohnt sind uns normal im Alltag als Problemlöser zu bewegen. Politische und strategische Entscheidungen sind immer neben- und fernwirksam. Das Dumme daran: ein zu umfänglicher Rekurs auf mögliche Neben- und Fernwirkungen kann  leicht als Zaudern oder Entscheidungsschwäche ausgelegt werden (wenn man die notwendige Souveränität nicht mitbringt) oder zu Handlungsinkompetenz führen.

Eine besondere Form von wishful thinking ist der Rumpelstilzchen-Effekt. Hier sind bei der Konstruktion von Lösungsmöglichkeiten keine Vorkehrungen für mögliche Restriktionen oder überraschende Wendungen getroffen worden. Alternativen wurden nicht entwickelt, die Erfolgswahrscheinlichkeit überschätzt, ebenso wie die Durchführbarkeit der Pläne. Alles schien perfekt und dann dieses…oder dass nicht sein kann was nicht sein darf.

Anders beim gambling, wo man just auf diese Maßnahme greift, die beim letzten Mal erfolgreich war. Ohne genauere Diagnostik der Situation wird mit Erfahrung argumentiert und dass man unlängst in einer ähnlichen Situation mit der Methode sehr erfolgreich gewesen sei. Eine Steigerung dieses gambling im Sinne des Rückgriffs auf eine zuvor gemachte Erfahrung ist der Methodismus. Hier wird ganz entschieden an bisher genutzten Planungsstrategien (so haben wir das immer schon gemacht) und Schema F-Reglementierungen festgehalten und die Spezifika einer Situation einfach weggeblendet. Im Zweifelsfalle passen wir das Problem unserer Lösung an.

Eine weit verbreitete Form der „Problemlösung“ ist die Projektmacherei. Hier wird sehr lange, sehr umfänglich und sehr intensiv nach allen Regeln des Projektmanagement geplant… in der Hoffnung, dass während dieser aufwändigen Zeit der Planung die Ereignisse schon sehr weit fortgeschritten sind oder sich die notwendigen Aktionen selbst erübrigt haben. Man hat also in dieser Zeit eine ganze Menge gemacht, wenn auch möglicherweise nichts ausgerichtet. Eine klassische Handlungs- und Worthülse vor allem in der Politik.

Wenn das Unbehagen groß wird und man Mühe hat, Vorstellungen einer möglichen Lösung zu entwickeln, denkt man gerne auch an Flucht. Es gibt die Horizontalflucht, bei der man sich in eine gut bekannte, vertraute Ecke des Handlungsfeldes zurückzieht und dort sein überschaubares Gärtchen beackert, also Aktivität bindet jenseits der wirklich relevanten Problembereiche. Wir sind (sinn)bildlich aus dem Feld gegangen. In der vertikalen Flucht geht man in seine eigene Welt, entfernt sich aus der Realität, mit der man eh nicht mehr zurecht kommt, und bastelt sich ein fügsames Abbild der Wirklichkeit, die man bearbeiten will. In dieser neugezimmerten Realität können Pläne und Strategien dann sehr erfolgreich sein, sie haben nur nichts mehr mit der Realität zu tun.

Eine ganz klassische Fehlverhaltensweise beim Problemlösen ist das thematische Vagabundieren. Dabei fängt man an mit der Planung der Maßnahme A, wird durch eine Idee abgelenkt, die kurz eine Aktivität für B ventiliert, bevor einem einfällt, dass C eigentlich ganz dringend ist, aber aus Gründen der „Staatsräson“ eigentlich D gemacht werden müsste. Am Ende sind diese und andere Vorhaben und Vornahmen angerissen, das Oszillieren zwischen den verschiedensten Themen und Beschäftigungsfeldern ist in wilden Aktionismus ausgeartet und die Umwelt attestiert einem darüber hinaus noch Drive und Kompetenz. Zwischen Anmutung und Qualität tut sich die größtmögliche Lücke auf.

Ähnlich gelagert ist der Adhocismus, bei dem ähnlich unkoordiniert vorgegangen wird, jedoch ist der Treiber das in gerade im Augenblick jeweils aufkommende Problem.

Ein Klassiker der Bürokratie ist das ballistische Verhalten. Hierbei wird eine Maßnahme komplett durchgeplant und dann ohne weitere Beachtung der in der Zwischenzeit möglicherweise eingetretenen Änderungen durchgeführt. Bei diesem Verhalten wird in Analogie zu dem Abschuss einer Kanonenkugel davon ausgegangen, dass die durchgeführte Maßnahme in keiner Weise mehr geändert werden kann und die Folgen dann unausweichlich zu erwarten sind. Man nehme das Flächenbombardement für das treffen eines Bunkers.

Die Chancen des Scheiterns sind vielfältig. Beim entschiedenen Tun immer wieder mal innehalten (stoppe die Handlung) und zurückschauen – damit wir nicht nur an den Problemen arbeiten, die wir mit unserer Lösung erst geschaffen haben. Im wahren Leben findet man selten nur einen (1) Fehlermodus. Meist ist es eine Gemengelage mehrerer Denkfehler, die dann zum Scheitern führt und damit auch das Lernen aus Fehlern erschwert.