Das Management von Organisationen kennt grundsätzlich 4 Spielarten: In der ersten, dem Status quo, geschieht nichts an Veränderungsarbeit und alles soll so bleiben, wie es ist. Die zweite Form kann man als Optimierung bezeichnen. Hier geht es darum, die Verbesserungspotentiale bei bestehenden Strukturen und Werkzeugen auszuschöpfen. Das Dritte ist der turn around, bei dem es darum geht, mit einem Quantensprung eine Innovation und einen qualitativ neuen Zustand zu schaffen. Bei dem Vierten geht es darum, kurzfristig die Überlebensfähigkeit zu sichern, also krisenhafte Situationen zu managen, landläufig auch Sanierung genannt.
Beim Status quo ist die Aufgabe des Managements, in einem bürokratischen Sinne darauf zu achten, dass alles immer nach den gleichen Spielregeln abläuft, die Organisation sich quasi als eine Produktionsmaschine mit null Abweichungstoleranz versteht.
Bei der Optimierung geht es darum, auf schon Vorhandenem aufzubauen, Bestehendes zu verbessern und die Beteiligten stark in den Lern- und Entwicklungsprozess einzubeziehen. Viele Maßnahmen werden vor der eigentlichen Umsetzung durchgespielt. Die Logik der Echternacher Prozession „zwei vor eins zurück“ ist meist ein Bestimmungsmerkmal eines solchen Veränderungsprozesses, der zum Ziel hat, möglichst viele oder alle Beteiligte im Verlaufe des Prozesses zu Promotoren zu machen.
Ganz anders ist die turn around-Situation. Hier reichen einige mächtige und entschlossene Promotoren, die eine kreative Zerstörung des Alten ermöglichen und eine schnelle Einführung des Neuen forcieren. Eine Innovation kann man nicht wie den Jagdhund zum Fuchsbau tragen und stabilisierende Maßnahmen kommen nach der Umstellung. Hier folgen auf eine Entwicklungsphase, die kurz oder länger sein kann, eine schnelle und robuste Umsetzung und dann eine längere Nachsorge.
Die Sanierung ist eine Art Bohrturm in See-Situation, wo das Risiko, vom sicheren zum möglichen Tod zu kommen, auch gleichzeitig die Chance ist. Oder, um in der Analogie zu bleiben, vom 15. Stock mit Schwimmweste in die See springen, weil kein Rettungshubschrauber in Sicht ist und Löschversuche aussichtslos sind.
Bei einem Übertrag der 4 Situationen in eine Spieleanalogie kann man den Status quo bezeichnen als eine Konfiguration, bei der einige die Regeln kennen und alle die Spielzüge auswendig gelernt haben. Bei der Optimierung kennen alle die Regeln, halten sie ein und bessern im Sinne von „mehr vom gleichen“ nach, um mehr vom Spiel zu haben. Beim turn around werden neue Regeln erfunden, mit denen sukzessive ein neues Spiel entwickelt wird, während in der Sanierung nur noch einer die Regeln beherrscht und gleichzeitig auch noch Schiedsrichter ist.
Das Sanierungsgeschehen lässt sich grundsätzlich in 3 Phasen unterscheiden. Da gibt es zum einen die Hoffnungs- oder „das Pfeifen im Walde“-Phase. Mit Christian Morgenstern´s „das nicht sein kann, was nicht sein darf“ wird gegen offenkundige Daten und Fakten argumentiert. Das Prinzip Hoffnung dominiert öffentliche Erörterungen mit dem Verweis darauf, dass es doch erst halb Zwölf und nicht schon fünf vor Zwölf oder gar fünf nach Zwölf sei. Wenn es in dieser Phase nicht gelingt, die kritische Masse der Fach- und Führungskräfte für einen radikalen Schnitt zu gewinnen, schwinden die Chancen des Überlebens exponentiell.
In der zweiten Phase geht es um die unmittelbare Gefahrenabwehr, zum Beispiel die Abwendung eines drohenden Konkurses. Hier geht es dann zu wie in der Notfallmedizin, das heißt, es geht nur noch um die Vitalfunktionen des Unternehmens, die mit allen Mitteln – und hier heiligen dann alle Zwecke auch die Mittel – wieder herzustellen sind und wo manche schmerzhafte Amputation erfolgen muss, die zu fast irreparablen Dauerschäden führt, aber das Überleben sichert.
Erst die darauf folgende dritte Phase ist die eigentliche Sanierung im Sinne von wieder gesund werden der Organisation. Hier muss von einer Innenperspektive der brutalen Kostenreduktion wieder auf die Außenperspektive der Marktbearbeitung umgeschaltet werden. Eine ganz große Klippe, bei der es sonst gleich heißen kann „Operation gelungen, Patient tot“. Je länger die zweite Phase dauert, weil aus formalen, arbeitsrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen und anderen Gründen Entscheidungen und Umsetzungen in die Länge gezogen werden, umso geringer sind die Chancen für eine erfolgreiche Phase 3. Und wenn der Insolvenzverwalter erst einmal das Sagen hat, dann geht es in vielen Fällen, um in der Analogie der Notfallmedizin zu bleiben, nicht mehr um Amputation, sondern um das Ausschlachten oder das Vermarkten von Organen an andere Interessenten zum Schnäppchen-Preis.
Diese 3 Phasen fordern von einem die Sanierung begleitenden Berater auch unterschiedliche Qualitäten und Ausrichtungen. Wenn er in der ersten Phase besonders als Diagnostiker gefordert ist, um den Führungskräften und der Organisation klar zu machen, wo die Gefahren und die Gefährdungspotentiale bestehen, mit welchen Auswirkungen und Reichweiten zu rechnen ist und im Zweifelsfalle die Krise inszeniert, die sonst niemand sehen will, so geht es in der zweiten Phase mehr um den robusten Lotsen, der erfahrungsgestellt die Größen und Tiefen kennt und hier dirigistisch gesehen auf schnellstem Wege zum rettenden Ufer führt. In Phase 3 ist dann mehr die Hebamme und der Inspirator gefragt. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe und um die Entwicklung eines neuen funktionsfähigen Führungsteams.
Wenn man über viele Jahre, auch in unterschiedlichen Branchen, in Sanierungsprojekte eingebunden war, ist es verblüffend, wie sehr sich die meisten Fehlerprotokolle gleichen:
- Die Entwicklung eines klaren und gesunden Gefahrenbewusstseins wird behindert, stattdessen setzt man auf die Wende im Markt und dass der Konsument und dass die Kunden ein Einsehen haben und sich gnädigst dem Unternehmen wieder zuwenden.
- Die Führungsfrage wird, wenn überhaupt, meist viel zu spät gestellt, wo es doch so nötig wäre, zum frühest möglichen Zeitpunkt zu klären, wer in Zukunft in der Unternehmensleitung und dem first line management sitzt und insbesondere wer nicht (mehr) drin sitzt.
- Es fehlt an deutlichen Signalen an jene die das Potential für die Zukunftsbewältigung haben, dass man auf sie setze und sie mit dabei haben möge. Das Risiko ist mehr als hoch, dass in den allgemeinen Turbulenzen die Falschen das gefährdete oder sinkende Schiff verlassen.
- Auch wenn die Informationssysteme den nahenden Gau abbilden können, wird der Stand der Dinge selten kritisch erörtert und lieber von Zukunft gefaselt als der Gegenwart gnadenlos ins Auge gesehen.
- Selten wird wirklich mit dem worst case geplant, was Umsatz und Ergebnis der näheren Zukunft anbelangen. Fast immer ist dies zu hoch dimensioniert und man geht, was die Kostenseite anbelangt, immer noch mit viel zu viel Ballast in das nächste Rennen. So sind die nächsten Planrevisionen zwangsläufig ebenso wie der weitere Vertrauensverlust in der Organisation. Die Folgeprobleme sind vorprogrammiert.
- Trotz aller Eile wird häufig unterlassen, eine neue Strategie für das Unternehmen zu entwerfen. Die Betriebswirtschaft allein hat noch nie ein Unternehmen gesund gemacht.
- Last but not least werden nur selten oder nie die wirklich Schuldigen bestraft, denn nur dann ist die notwendige Trauerarbeit und die Befreiung der Organisation aus ihrem schlechten Gewissen möglich. Es fehlt so häufig die eigene Entschuldung, damit es kraftvoll weiter und am besten nach vorne gehen kann.
Bei der Sanierung bewegen wir uns nicht nur gedanklich in der medizinischen Notfallsituation, sondern wir haben uns auch das Funktionieren und die Regeln der ärztlichen Intervention angeschaut. Hier wie dort geht es erst einmal um das Überleben und nicht um Lebensfähigkeit auf Dauer. Sanierung kann den turn around nicht ersetzen, sondern ihn nur ermöglichen. Mein Fazit aus dem Vergleich der Notaufnahme mit der Unternehmenssanierung:
- Der Notarzt war erfolgreich, auch wenn Sie behindert bleiben. Sanierung stellt Überleben sicher, nicht Lebensfähigkeit auf Dauer.. Sie kauft Zeit für den turn around, kann ihn aber nicht ersetzen.
- 360-Watt-Stromstöße bei schlagendem Herzen verursachen Herzstillstand – Sanierung ist eine Maßnahme für den Notfall und nur für ihn.
- Bitten Sie einen Notarzt nicht, ihren Meniskus wieder einzurenken; es könnte sein, dass ihr Knie steif bleibt – Sanierer sind Spezialisten für Notfälle und nur für sie.
- Auch mit Morphium verlieren Sie bei einer Notamputation ein Bein – Sanierung ist kein Zuckerschlecken, sondern schmerzhaftes, rigoroses Handeln im Notfall
- Ihr Körper weiß, was er bei Blutverlust zu tun hat, Sie nicht –geraten Sie oder Ihr Unternehmen in eine Notfallsituation, stoppen Sie Ihr Handeln – es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch.
- Die Evolution hat vorgedacht, Sie nicht – gedanklich den Misserfolg vorwegnehmen ist eine schwierige Übung, aber niemand ist unfehlbar oder hat dauerhaft Fortune. Nutzen Sire die Chance, Notfällen vorzudenken, im Notfall fehlt die Zeit nachzudenken.
Für den Sanierer selbst empfehlen wir die folgenden 4 Maximen:
- aus: Schaue bevor du springst! – wird: Handele, um schnell heraus zu finden, was noch möglich ist!
- aus: Handele nicht, wenn du die Situation nicht verstehst! – wird: Halte dich an Intuition, Erfahrung, Ratschläge anderer und handele auch, wenn dir nicht alles klar ist!
- aus: Frage nicht nach Daten, die deine Entscheidung nicht tangieren! – wird: Achte auch auf das scheinbar Irrelevante, weil Rettungspfade nicht immer den mainstream bedeuten!
- aus: Wisse was du sagst! – wird: Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage!