In den Corona Zeiten 2020-23 fanden bemerkenswerte Deformationen des gesellschaftlichen Lebens statt. Freiheiten sind geschwunden, Angst wurde vom Impulsgeber auch zum Ratgeber, Cocooning wurde gelebt, Vorräte gehortet und die W-Fragen des warum und weshalb hatten Konjunktur.
Wie wir alle wissen oder glauben zu wissen, sind gerade Krisenzeiten, seien sie privater, familiärer, organisatorischer oder gesellschaftlicher Natur, ein Promotor für Fragen nach dem Sinn des Lebens, für das Hinterfragen der eigenen Existenz: wie schaffen wir es in dieser zunehmend volatilen, ungewissen, komplexen und ambivalenten Welt, einen langfristigen Sinn für uns zu finden ? Und wenn ja – was kann die Psychologie hier leisten, beisteuern, bewirken?
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist wahrscheinlich fast so alt wie die Menschheit selbst. Die Philosophie hat in dieser Frage ihren Ursprung, die Religionen haben versucht, Antworten zu entwickeln und anzubieten. Die Literatur hat sich in Form von Roman, Drama und Tragödie dankenswert dieser Themen angenommen und uns die Sinnfragen und deren verschiedenste Spielarten der Beantwortung nachhaltig vor Auge und Ohr geführt.
Die Psychologie hat anschlussfähig an verschiedene Strömungen in Philosophie und Religion ihre Sichtweisen, Erklärungen, Unterstützungen und therapeutische Hilfestellungen entwickelt.
Auch andere Stilformen der Kultur wie das Kino respektive der Film haben sich des Themas angenommen. „The meaning of life“ oder auf deutsch „der Sinn des Lebens“ ist eine Satire der britischen Komikertruppe Monty Python.
In meist skurrilen Episoden aus verschiedenen Lebensabschnitten ,die sich alle direkt oder indirekt mit dem Sinn des Lebens beschäftigen, geht es in 7 Kapiteln um die Themen Geburt, Religion, sexuelle Aufklärung, Krieg, Organspende, Essen und Tod. Die Episoden zeichnen sich dadurch aus, dass sämtliche Versuche, eine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zu finden, mehr oder minder kläglich scheitern.
Ihren Aberwitz des britischen schwarzen Nonsens treibt die Monty Python Truppe mit folgender Szene auf die Spitze: während einer Dinner Party in einem Landhaus klopft der Gevatter Tod leibhaftig mit der Sense über der Schulter an die Tür. Der Gastgeber öffnet und sagt freundlich: „Ach, sie kommen wegen der Hecke!“
Dieser satirische bis zynische Umgang mit der Frage nach dem Sinn des Lebens wird nachvollziehbarer, wenn man bei Google Sinn des Lebens eingibt und von der Vielfalt, Menge und Heterogenität des Angebotes schier erschlagen wird. Über 57 Millionen Notationen sind da innerhalb von Sekunden im Angebot.
Bei der Frage nach dem Sinn des Lebens wird man Antworten bekommen wie Glück, Fortpflanzung, Schicksal, Himmel und Hölle, Sehnsucht und Tod. Hinter diesen und anderen Antworten verbirgt sich eine persönliche Verortung nach dem Sinn der Sinnfrage: hat das Leben überhaupt einen Sinn und mit ja oder nein beantwortet, wie sieht dann das Prozessieren mit dem Leben aus? Hat die Vorsehung das Sinn-Mandat oder glauben wir dem Zufall und wie differenzieren wir beides als den (einen) Sinn des Lebens?
Bei der Standortbestimmung zur Frage nach dem Sinn des Lebens hilft eine Unterteilung oder der Versuch einer konzeptionellen Ordnung in 4 Positionen, wie sie u.a. auch Chmielewski und Hanning verwenden:
Position 1: Das Leben hat keinen kosmischen Sinn. Am Ende stehen Bedeutungslosigkeit und Auslöschung.
Dieser Position könnte man Arthur Schopenhauer zuordnen, der gesagt hat „Das Leben ist eine missliche Sache; Ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über das selbe nachzudenken“. Auch Sigmund Freud neigte eher zu dieser Position wenn er sagte: “In dem Moment, da man nach dem Sinn des Lebens fragt, ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht!“
Dort wird man auch Bertrand Russell verorten können, einen der Väter der analytischen Philosophie, der als Mathematiker und Philosoph, Gesellschafts- und Religionskritiker einen sehr distanten Blick auf die Menschen, auf die Politik und die Gesellschaft hatte. 2 Kostproben: „das Ärgerlichste in dieser Welt ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind.“ „Die Frage heute ist, wie man die Menschen überzeugen kann, in ihr eigenes Überleben einzuwilligen.“
Position 2: Das Leben hat keinen kosmischen Sinn – aber Menschen können sich ihren eigenen Sinn kreieren; dazu braucht es Verantwortung und Mut.
Hier finden wir eher Denker wie Albert Camus, Friedrich Nietzsche oder Erich Fromm. „Der Mensch muss von Zeit zu Zeit wissen oder glauben zu wissen, warum er existiert“, sagt Nietzsche und sieht in dieser Antwort den wesentlichen Unterschied zu tierischen Lebewesen. Albert Camus stellt sich dieser Frage u.a. in seinem Essay „der Mythos des Sisyphos“ und verweist auf die menschliche Existenz als hoffnungslose Absurdität: „Gott ist tot“ (auch bei ihm und nicht nur bei Nietzsche) „und das Leben insgesamt sinnlos“. Aber hier beginnt dann für ihn das, was er die redliche Philosophie nennt: „dem Leben beherzt und mutig ins Auge zu schauen, unserer Arbeit nachzugehen, den Pflichten zu folgen und uns wichtig zu nehmen“. Fromm gibt uns mit: „Das Leben hat nur den einen Sinn: den Vollzug des Lebens selbst“.
Position 3: Leben hat vielleicht oder wahrscheinlich einen kosmischen Sinn – durch ehrliche und intensive Suche können wir diese Wahrheiten entdecken. sie wird nicht geschaffen sondern ist da.
Viktor Frankl ist hier wohl der wichtigste Exponent, dessen Wille zum Sinn genau diese Position beschreibt: „findet der Mensch einen Sinn, dann (aber auch nur dann) ist er glücklich – einerseits, denn andererseits ist er dann auch leidensfähig“. „Noch nie hat ein Tier danach gefragt, ob das Leben Sinn hat. Das tut eben nur der Mensch, und das ist nicht Ausdruck einer seelischen Krankheit, sondern der Ausdruck geistiger Mündigkeit“. „Wer um einen Sinn seines Lebens weiß, dem verhilft dieses Bewusstsein mehr als alles andere dazu, äußere Schwierigkeiten und innere Beschwerden zu überwinden“. Denn: „man muss sich von sich selbst nicht alles gefallen lassen“.
Hier wird wohl auch Rollo May als einer der Väter der existentiellen Psychotherapie seine geistige Heimat haben, auf den wiederum Irvin D. Yalom rekurriert. Dieser beschäftigt sich mit seiner existenziellen Psychotherapie um die wie er es nennt 4 letzten Dinge, die seines Erachtens sind: Sterblichkeit und Angst, Isolation und Einsamkeit, Freiheit und erlebte Sinnlosigkeit als die wesentlichen existentiellen Erfahrungen des Menschen. Irwin Yalom hat das Talent und die Gabe, seine psychologischen und therapeutischen Überlegungen auch in Literatur zu verwandeln. Empfehlenswert ist hier die wunderbare Monographie: „und Nietzsche weinte“; eine ebenso spannende wie unterhaltsame Gesprächsfolge zwischen Josef Breuer, einem Freund und Zeitgenossen von Freud und Friedrich Nietzsche, 2007 auch erfolgreich verfilmt.
Position 4: Das Leben hat einen kosmischen Sinn aber Menschen sind nicht fähig, diese Komplexität zu begreifen. durch Religionen können sich Menschen mit diesem Sinn verbinden – aber ihn nie völlig verstehen.
Diese Position passt zu William James, dem Begründer des philosophischen Pragmatismus und seiner Auffassung, demzufolge etwas dann wahr ist, wenn es für uns nützlich ist, es zu glauben. Auch Martin Buber oder Leo N. Tolstoi mit seinem „Das Leben lieben, heißt: Gott lieben“ lassen sich in dieser Kategorie verordnen.
Der große protestantische Theologe Paul Tillich, auf den sich Rollo May und Irwin Yalom explizit beziehen, lässt sich auch hier verorten. Tillich unterscheidet zwischen Vernunfterkenntnis und Glaubenswahrheit. Vernunfterkenntnis ist auf die Wirklichkeit bezogen, die Glaubenswahrheit erschließt deren Sinn für uns.
Diese grobe Kategorisierung hat natürlich ihre Unschärfen und Grenzgänger und die Zuordnung der Exponenten ist (nur) meine persönliche. Aber sie kann die Antwort sein auf die Frage vor der Frage nach dem Sinn des Lebens. Sie ist, wenn nicht bewusst, der blinde Fleck unseres Blicks auf die Wirklichkeit, in der wir leben und prozessieren. Oder sie ist, wenn uns bewusst, die Chance, aus einer Metaperspektive dem Sinn mehr als eine Option und Antwort abzugewinnen.
Ernst E. Boesch hat in seiner Monografie „Sehnsucht – von der Suche nach Sinn und Glück“ nahegelegt, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens auch das Streben nach einer Festigung des eigenen Selbst bedeuten könnte oder um mit Humberto Maturana zu schließen: „wir bringen die Welt hervor, die wir leben“!